Jazz Podium und sonst auch alles: in Grün

Wer lebt, der stolpert. Unweigerlich stolpern wir tiefer ins Jahr. Die Zeit vergeht ohne ein Zutun. Sie hängt nicht von uns ab. Da gibt es ein Dutzend höhere Mächte, die sie ankurbeln. Egal ob wir Menschlein die Uhr um eine Stunde umstellen oder nicht, die Zeit vergeht und nimmt uns mit ins Vergehen, das nicht gleich Verderben sein muss. Wir sind bereits im Frühling   angekommen. Ein Leichtes, wenn man nicht gerade tot ist. Frühling also. Mit h. Ohne h wäre es: Früling. Im Früling sind alle Katzen gleich.  Die Pflanzenkatzen werden belebt wie der Menschenkater.  Grün die Dominante. Vitalität kommt in die Knochenzweige. Alles blüht auf. Sogar in Deutschland einigermaßen bunt. Wir sind guter Dinge – falls nicht tot. Hoffnung blüht mit auf.  Der Heiland stirbt erst, richtet sich aber bald hoch. Erlöst uns. Wovon genau? Er ist die Hoffnung jedenfalls. Kann er aber all unsere Hoffnungen erfüllen? (Kugelsicherer Carport, 24, 1-Karat-Gold Front, diamantenbesetzter Zementmixer, Jazz Podium-Abo …) Ostern  und die Wiedergeburt. Wir werden neu gemacht. Komplett: Karosserie und Unterboden. Ostern und … Das hartgekochte Ei steckt fest in Bunzlauer Keramik, doch mit einem Stemmeisen kriegt man es gewiß los, dem Jüngsten entfährt aus dem  schokoladenverschmierten Kauorgan: Wlüffl. – Was Halleluja meint. Alles im „Jazz Podium und sonst auch alles: in Grün“ weiterlesen

Das Individuum: erhöht

Es gibt sie noch. Die Leute, die es verdient haben, bekannt zu sein. Ilija Trojanow hat gerade in dem ziemlich luftig gesetzten, doch lesenswerten Heft Future Zwei (Zusatz drüber: Magazin für Zukunft und Politik; auf dem Coverbild: eine Dame mit Kopf im Kübel) ein Interview gegeben. Schwamm drüber, dass man ihn hier global-effekthascherisch als Public Intellectual tituliert anstatt ihn kluger Kopf oder öffentlichtauglicher Beauftragter der klugkopfigen Wertegemeinschaftsskeptiker zu nennen. Trojanow zweifelt die hiesige Weltordnung seit Jahren schon an, hier wieder. Er, der Weltreisende, lässt uns in jenem Interview (packender Titel: „Apokalyptische Wichserei grenzt das Visionäre aus“) ganz flott vom hohen Wohlstands-Roß steigen, zeigt nicht minder flott unsere Anmaßungen. Es wird sofort klar,  dass die sog. Erste Welt gut und gern mit der Dritten (Welt) in vielerlei Hinsicht die Plätze tauschen könnte. In vielerlei Hinsicht? In wesentlichen Punkten. Wie z.B. dem Umgang miteinander. Es fallen Sätze, die aus dem Zusammenhang genommen anmaßend klingen könnten, es aber im Zusammenhang und mit Beispielen garnert nicht sind, Sätze wie „Indem wir Gutes tun, wird es auch für uns gut“, „Klimapolitik wird oft mit einer großen wissenschaftlichen  Nüchternheit und unter einer Präzision der Zahlen und Ziffern betrieben, hat aber zu wenige „Das Individuum: erhöht“ weiterlesen

Staunen um des, dings, Staunens, dings, willen

Man kann nur staunen. Nur? (Gelegentlich liest man auch gegen Ende eines Textes: Bleibt nur zu sagen … dies oder das folgt dann. Nur?) Ach, diese Ausschließlichkeiten immer. Man kann auch staunen und sich währendessen am Hintern kratzen natürlich. Dann ist es kein astreines Staunen, vielmehr ein  Staunen, das durch eine leicht verpönte Kratzbewegung verunreinigt wird, nicht mehr ein Staunen erster Klasse. Das ist  im Grunde ja auch schön. Die Radikalität des Staunens ist kurz mal hin. Ist vielleicht sogar undeutsch, weil Extremes  – das außschließliche Staunen – abmildernd oder gar verhindernd, die doch deutsche Neigung, alles bierernst usw. und dann noch gründlich usw. (Nicht das beste Beispiel, doch zur Erinnerung: Nach Fukushima – AKWs: aus.) Staunen kann man im Grunde immer. Aber gekonnt staunen? Überzeugend? So dass Leute um uns übers unsere Staunen staunen? Das gedoppelte Staunen soll doch gerade en vogue oder sogar hip oder beides mt dem Zusatz eines Dritten sein, hört man allenhalben. (Hört man von den Bäumen zwitschern, das wäre eine mindestens ebenso passende Redewendung an dieser Stelle gewesen, angebracht umso mehr, da die Vogelwelt gerade massiv erwacht, uns zum Klimawandel so einiges Wissenswerte eingibt, verstünde man nur – nur? – diese ganzen spatzenhirnigen Spatzendialekte über deren Betonungszwang auf der letzten Silbe man nur staunen kann; wenn man radikal aufgelegt ist allerdings nur und im Nur grundsätzlich daheim). Das führt doch nirgendwohin, könnte man jetzt anführen. Stimmt, ist ein Ablenkungsmanöver bloß, das nur dazu führen soll, nun, abzulenken. Von den wesentlichen Dingen abzulenken, über die es sich zu staunen zweifelsfrei – und hoffentlich überaus undeutsch – lohnt. Als das wären:  ……… (Hier bitte nach Belieben Staunenswertes einfügen.) Fertig? Dann aber endlich zum Kern „Staunen um des, dings, Staunens, dings, willen“ weiterlesen

Kein Wort zu Jazz Podium – nicht offen; verdeckt aber schon

Wenn man  hier ernsthaft ein Tagebuch betriebe, was  ein Blog ja ursprünglich sein wollte, dann wäre es im Moment eine kreuzöde Angelegenheit.  Dann stünden hier derzeit Sätze wie: Schweiß des Angesichts, hartbödiger Ackergrund, auf zum Spaten, die Gruft verlangt nach bodys. Ja, zumal im Augenblick, wo die Arbeit kompromißlos und zu oft humorfern im Vordergrund steht.  Es geht voran, Geschichte wird gemacht, nicht frei, sondern eng nach Fehlfarben, der Band mit dem einen Hit, aber vielen kompromißlosen Gedankengängen, könnte man in diesem Zusammenhang anmerken, wäre man selbstbewußt oder frech, was oft genug zusammenfällt, oder naiv wie Kaspar Mütze, der pudelbemützte Halbtrottel – ist er doch? oder sieht es jemand anders? – aus dem Hause Janosch. Geschichte wird allerdings immer gemacht, nicht dringend im  großen Stil oder weltbewegend, aber die persönliche Geschichte wird ja mit jedem Atemzug weitergesponnen. Bis zum letzten, nun, Atemzug; manchmal auch darüber hinaus, durch Erinnerungen von Mitmensch und Hund. Endet also in kompletter Unwahrheit, wenn man nicht aufpaßt. Doch wie paßt man vom Jenseits aus auf? Das ist eine dieser „Kein Wort zu Jazz Podium – nicht offen; verdeckt aber schon“ weiterlesen

Jazz Podium: die gestaltete Gestalt

Wir sind auf der Suche. Das könnte man als Satz so stehen lassen und er wäre für sich, so blank und dezent kryptisch, nicht unrichtig.  Ein bisschen allgemeinplatzig, aber im Ganzen: Kann man starten mit. (Allemal in einen Blog mit moderatem Anspruch auf Sinnschöpfung.) Wir sind auf der Suche nach einer Gestalt, fasst es genauer. So genau aber wiederum dann doch nicht. Gestalt: Das kann man so sehen oder so. Man kann sagen: Wir suchen eine Gestalt zeitlebens. Dann wird es sehr allgemein und diese Behauptung/These/Sentenz erhält einen beinahe philosophischen Anspruch. (Philosophie kommt ja von Phillipa, der lustigen Nudel von nebenan; und philosophische Klimmzüge sind die Nr. 1 Just for fun-Bewegungen der Mittzwanziger heutzutage; wer es nicht glaubt, lese bitte in der Frau im Spiegel vom November 1986 nach.) Der interessiert uns aber gerade herzlich wenig, der Anspruch. Weil es doch klar ist, dass es dieses Satzes an dieser oder egal welcher Stelle nicht dringend bedarf. Denn: Selbstverständlich will man wer werden. Eine Person oder gar Persönlichkeit von klaren Konturen. Mit Rückgrat auch noch.  Ein Jemand, der unverwechselbar ist, aus der Masse der Reihenhausbesitzer heraussticht,  dem aufmerksam zugehört wird, dem nahezu alles Glück dieser Erde ob seiner Besonderheit zufällt, gern gottgleich, wenn man sich den Vollbart wegdenkt, einer/eine, dessen/deren Befehlen man folgt bis in den … Hoppala, das geht jetzt minimal zu weit. Aber wir haben immerhin einen Eindruck, was mit dem Beinahe-Gemeinplatz gemeint ist. Wenn man eine Gestalt aber sonst sucht, ganz unphilosophisch, vielmehr konkret, wo findet man die? Als Zeitschrift, danach wird nämlich gefragt. Aber bitte – wonach sollten wir schon an dieser Stelle fragen, wenn nicht nach dem Jazz Podium erneut mal. Dem Podium, so „Jazz Podium: die gestaltete Gestalt“ weiterlesen

Jazz Podium: ganz in Walnuß

Heute mal, das die Ausnahme, ein paar Worte zu einem Themenstrang, den jeder kennt: zum Broterwerb. Wir erwerben ja stinknormalerweise Brot, indem wir es beim Bäcker, die Unsäglichen unter uns: beim Discounter, für Bargeld (Kupfermünzen gibt es als Ein-, Zwei- und Fünfcent-Stücke, Messing oder was das ist, als Zehn-, Zwanzig- und Fünfzigcentstücke, die Baknoten sind: rot, grün und oft eingedreckt), die Unsäglichen unter uns: per PayPal, erstehen.  Bei Kasprowicz derzeit besonders empfehlenswert: die Walnußsemmeln zu 75 Cent (ein messinghafter 50 plus 20 plus kupferhafter Fünfer; oberbayerische Preise – ungelogen). Brot ist an Erwerb gekoppelt wie Doof an Dämlich, im Original: Stan & Laurie – hierbei der Doofe nicht unbedingt doofer  als der Dicke. Wer eine frische Walnußsemmel jeden Wintermorgen (7:56 Uhr) will, der muss ans Geld. Wie? Eine zugegeben kindische Frage. Durch Arbeit. Durch Arbeit zum Geld, durch Arbeit zum Glück, durch Arbeit in Gruft.  So die Reihenfolge, frei nach Adam R. Kasprowicz, dem Walnußdompteur. Unser Leben ist im Augenblick ein Sack voll Walnußsemmeln. Man mag nicht allenthalben jammern, aber gelegentlich muss es raus: Kann man überhaupt „Jazz Podium: ganz in Walnuß“ weiterlesen

Das Jazz Podium-Leben

Das JAZZ PODIUM für Februar steht. (Nicht nur der billigen Pointe, auch um der Wahrheit willen wäre es hier angebracht hinzuzufügen: Wir aber schwanken, oder dergleichen. Tut aber an dieser Stelle keiner. Zu billig. Pfui Pharao; wie Lotta aus der Krachmacherstraße sagt, wofür sie geschimpft kriegt, obwohl sie doch tadellos für ihr Alter, sie ist noch deutlich ein Vorschulkind, Pharao aussprechen kann.) War schon ein Aufriss und ein Act und ein Hieven und Stemmen und all dies. Doch letztlich sind wir direkt am Mittwoch fertig geworden. Am Donnerstag gingen dann die gelayouteten Seiten pünktlich an die Druckerei.  Der Hersteller in Sindelfingen hat sie dort hin geschickt. Manch eine letzte Korrektur haben wir ihm am Telefon ducrhgegeben, die zu korrigierende Seite aber am Schluß gar nicht mehr gesehen. Aber wir vertrauen ihm; er ist erfahren. Ein bisschen – im übertragenen Sinne, denn seine Gebrechen kennen wir nicht – steif in der Hüfte, da er seine gestalterischen Prinzipien hat, von denen er ungern abweicht, von denen es aber dann und wann abzuweichen gehört. Andererseits strahlt er eine gewisse Ruhe aus; wenn man es nicht Behäbigkeit nennen wollte. Doch selbst Behäbigkeit täte uns in all der Hektik um die Produktion gut.  Es gibt dann über Tage nämlich einen Punkt, da weiß man nicht, wohin zuerst. Überall Baustellen oder gar Löcher. Dann stirbt auch noch ein Musiker, den man unbedingt zu würdigen hat. Dann geht es ans Schreiben, obwohl man gerade mit der Fotoauswahl für diesen oder jenen Text „Das Jazz Podium-Leben“ weiterlesen

Silvester für Schwächlinge

Sich vom Jahr zu verabschieden, das fällt nicht schwer. Nicht nur diesmal, immer. Ein herzliches: Hauab! genügt da. Vom alten Jahr wissen wir alles, das neue verspricht. Ob es hält? Niemand weiß. Man kann noch so fleißig spekulieren, Pläne schmieden, sich mit Listen für gute Vorsätze ausstatten – alles im Grunde Arbeit ohne Wert. Das Jahr wird uns garantiert überraschen. Im Guten wie im Bösen. Das ist doch eines jeden Jahres Merkmal: die Überraschung. Das sollte den Menschen an sich auf den Boden bringen. Dass er es nicht in der Hand hat, was da auf ihn zukommt. Dass er bloß eine Spielfigur, manch ein Skeptiker sagt: Witzfigur, in einem Spiel ist, dessen Regeln nur bedingt menschengemacht sind. Bringt es ihn auf den Boden? Auf den Hosenboden allenfalls, wenn er am Silvester noch vor Mitternacht nach einer Batterie Kleiner Feiglinge erst taumelt, dann fällt. In den Dreck fällt, weil es ein Dreckswetter dort draußen ist; ein Blick durch das vom Alten Jahr – genau, dem mit dem langen, gutbösezerzausten Bart – verschmierte Fenster reicht da um 9:07 Uhr aus. Die Freude an Silvester ist ein Ablenkungsmanöver. Man läßt die Vergangenheit möglichst laut zusammenkrachen, alleine, weil es vergangen & damit gegessen & man zu faul ist, um darauf zurückzublicken & daraus eventuell was zu lernen fürs Kommende, und freut sich aufs Neue, wovon niemand weiß, nicht mal Rumpelstilzchen, das wohl weiß, wie es heißt, was es denn bringt. Vielleicht den Tod. Vielleicht noch längeren Bart. Was ist das für Haltung? Eine, allemal von Lebensskeptikern aus, anzweifelbare Haltung. Silvester bringt es nicht. Silvester ist was für Schwächlinge, die harte „Silvester für Schwächlinge“ weiterlesen

Das Christkind: gestreichelt, nicht gerührt

Man kann klagen über den Mangel an Zeit, wie an dieser Stelle schon mal gelegentlich geschehen, doch merkt man jenen Mangel erst wirklich, wenn es Dezember 18 wird. Wo nicht mal Zeit für einen geraden Satz außerhalb der Jazz Podium-Welt bleibt. Diese Welt verlangt von einem nämlich derzeit vor allem eins: alles. Kein (bislang halbwegs fest einzementierter) Stein bleibt auf dem anderen, kein Familienmitglied auch nur peripher betreut, keine bisherige Ordnung insgesamt unangetastet. Der Beruf hat einen gefressen. Man teilt dabei das Schicksal von so vielen Menschenkindern.  Man opfert sich zwar in dieser zerstörerischen Weise nicht immer, doch beim JP dann doch schon ganz und gar freiwillig. Weil Jazz eine Haltung des Geistes ist, das nicht zuletzt. Und Arbeit ein Motor, der Erfüllung verheißt; weil Leistung ein Maßstab für Tauglichkeit als Mensch und als Maschine  ist; auch weil Zeitungmachen  – zwischendurch – Euphorie erzeugen kann; allemal, wenn man schließlich ein Eigenerzeugnis in den Händen hält.  (Journalisten haben eine Lebenserwartung, die knapp über der von Einstagsfliegen liegt; das nur am Rande und keineswegs als Klagelied angelegt.) So eine Herstellungsprozess „Das Christkind: gestreichelt, nicht gerührt“ weiterlesen

Uma

(Um mir den kommenden Blog zu sparen, doch gerade noch rechtzeitig vor Nikolaus, der Anfang einer Geschichte, die ich vor vielen, vielen, vielen Jahren geschrieben habe und die keins der Kinder vorgelesen haben oder selbst lesen wollte. Die komplette Geschichte gibt es auf dieser Seite in der mager bestückten Geschichten-Rubrik. – Die Formatierung ist hin, ich weiß. Kann aber im Augenblick nichts gegen sie ausrichten.)

Uma steigt ein – und aus

– Steig ein, sagte Mama, und Uma stieg ein. Die Mama rief noch: – Und grüß mir den Papa, mein Mädchen. Vom Eingang aus winkte Uma der Mama, dann schloss die Zugtür schon. Uma rieb sich die feuchte Stelle auf ihrer Wange ab, die Mamas Kuss hinterlassen hatte, und rollte ihren Koffer vor zu ihrem Platz. Wagen 511, Sitz Nummer 51, eine Eins machte da den Unterschied nur. Fünfhundertelf minus 51, was ergibt das? Wie viel noch? Sie rechnete im Gang mit den Fingern. Weniger als Fünfhundert, das auf jeden Fall, aber … Da drückte von hinten jemand gegen sie. Dermaßen gewaltig, dass sie fast umfiel. Gerade so noch konnte sie sich festhalten. Am Haar einer Frau im Sitz daneben. Uma flüsterte: – Entschuldigung. Die Frau schaute nicht mal hoch zu ihr. Von hinten hörte Uma stattdessen eine Männerstimme voll Ungeduld sagen: – Los, los Kleine, aus dem Weg jetzt. Uma machte sich dünn. Ein dicker Mann fast ohne Kopfhaar, der eine schwere Sporttasche über der Schulter trug, zwängte sich an ihr vorbei. Kein Haar auf dem Kopf, dafür wucherten seine Brauen üppig und auch aus der Nase sprossen ihm schwarze Härchen. Uma sandte dem Mann einen stummen Fluch hinterher: Des Belzebub Fluch sei mit dir, du bist kein Mensch, du bist ein Tier. Nicht dass der Fluch jemals gewirkt hätte, aber er besserte Umas Laune. An ihrem Platz angekommen, öffnete Uma mit einem geübten Ruck den Reißverschluss des karierten Koffers, den ihr die Mama vor zwei, drei, nein, gar nicht wahr, vor vier Jahren vom Kongress der Physiker in Glasgow mitgebracht hatte. Sie klappte den Deckel auf. Den im Batteriefach rostigen CD-Spieler, den ihr Vater auf einem Flohmarkt aufgetrieben hatte, nahm sie heraus – sowie eine Brotzeitdose, die Vollkornsemmeln in der Tüte, das Taschenmesser, die Schachtel mit den Feen aus Filz. Sie steckte all das in das Netz, das unten an der Rückenlehne des Sitzes vor ihr angebracht war. Eine Weile wühlte sie noch im Koffer. Wo waren denn zum Teufel noch mal die Plüschkatze und das wollene Haflinger-Fohlen, das ihr Onkel Egon, der Förster vom Silberwald, geschenkt hatte? Hier im Koffer waren sie jedenfalls nicht. Sie hielt die Tränen zurück, klappte den Deckel zu, schloss den Verschluss. Der Mensch war nicht perfekt. Nie gewesen. Sonst wäre er nämlich schneller als das Gepardmännchen. Und besser gekleidet als der Ara. Und netter anzuschauen als jedes Reh. Und kräftiger als eine Ameise. Sie versuchte ihren Koffer in die Ablage zu heben, schaffte es aber bis zu den Kleiderhaken nur, die Kräfte verließen sie dann, der Koffer fiel runter – auf die leeren Sitze gottlob. Sie schaute sich um. Passagiere. Mitreisende. Leute. Jedes der Gesichter erzählte ein Leben. Stand so in einem Buch, das sie in den Ferien gelesen hatte. Dieses Leben konnte gelungen sein oder nicht. Ein Passagier konnte ein Kotzbrocken sein, der andere ein gescheiterter Zauberer, wieder ein anderer ein astreiner Engel. Sie fragte schließlich einen alten Mann, der in der Reihe neben ihr eine Zeitung las. Dass er alt war, erkannte sie, weil er eine Zeitung fast ohne Bilder las. – Helfen Sie mir bitte?, fragte Uma. Die Frage geriet ihr zwar leise, aber verständlich.