Folge 2

Malinowski war unberechenbar, dachte ich knapp vorm Einschlafen, ein Teddybär auf den ersten Blick, tapsig und mit einem Babyvisage geradewegs zum Knuddeln, aber unberechenbar im Grunde seines hartgesottenen Herzens. So ziemlich jeden konnte ich bislang, ich war im Business seit einem Jahrzehnt inzwischen, relativ ratzfatz lesen, ihn aber nicht mal im Ansatz. Obwohl er auf meine Seite gehörte, mir zugeteilt worden war, sollte ich ihm lieber nicht trauen, das beschloss ich nach wenigen Stunden mit ihm bereits. Viel zu gesunder Schlaf, dachte ebenfalls noch offenen Auges, wie er vorwiegend tumbe Gemüter auszeichnet. Nachdem er sich zwei, drei Mal von einer Seite auf die andere verlagert hatte, schnarchte Malinowski nämlich seit einer guten Viertelstunde; schnarchte beständig und in gleicher Tonlage, wie Unkenntnis des Fakts, dass diese Welt vom Gleichmass ewig weit entfernt war. Bis auf die Boxerschorts mit Pavianmuster hatte er sich zuvor wortlos entblößt. Nicht ganz die Wahrheit. Gute Nacht, das schmierte er in unbestimmte, nie und nimmer in meine, Richtung hin.  Das Haar an seinem Oberkörper, am Brustkorb wie an allen Rückenpartien, schützte ihn offenbar zuverlässig vor Kälte. Er war ein Tier, wenngleich ich ihn keiner bestimmten Gattung zurechnen konnte, er war ein Tier ohne jedwedes Aber. Es war kalt und blieb es die Nacht über. Ich schlief im Anzug; ohne Krawatte jedoch. Die ausgeleierten, klammen Decken, die wir, wie abgemacht, zusammen mit den alubeschlagenen Matten unter einer unauffälligen Steinpyramide in der Karbontruhe vorfanden, spendeten mir zumindest kaum Wärme. Die Stille an der Bergspitze war umfassend. Beinahe war ich Malinowski dankbar. Sein Schnarchen hob der Stille gravitätische, majestätische, furchterregende Bedeutung etwas auf. Hier, mit einer grundsoliden Schnarchattacke, war ein Mensch am Werk, der seinen Platz in der Natur zu behaupten wußte; sich von deren Allmacht nicht einschüchtern ließ. Mehr wollte ich allerdings in Malinowskis unabsichtliche Nachtaktivität nicht hinein geheimsen. Hinter dem Bretterdach vermutete ich die Sterne, zum Greifen nahe diesmal, doch unangetastet von mir. Was brachte uns der nächste Morgen; stand das in hiesigen Sternen? Eine Entscheidung? Oder hatten wir Stunden oder gar Tage zu warten? Könnte die Übergabe überhaupt so klappen, wie wir sie uns vorgestellten? Ich hatte da meine Zweifel. Die Erfahrung säte sie. Nahezu nie liefen die Dinge, selbst nicht so minuziös augetüftelte wie dies hier, derlei ab, wie man sie sich vorstellte. Es reichte, dass eine Kleinigkeit, eine Winzigkeit, ein Datail nicht stimmte, dass man x oder y  oder einen anderen beliebigen Buchstaben übersah, schon drohte das ausgearbeitete Vorhaben zusammen zu krachen. Genau deshalb aber setzten sie mich in diesem Fall ein, so meine Vermutung. Ich war reaktonsschnell wie keiner in der Firma sonst. Überraschendes, dessen konnte ich mich getrost rühmen, überrasche mich nie wirklich. Man merkte es mir zumindest niemals an. Wenn es mich denn auf dem falschen Fuss erwischte, dann wußte ich stets um eine adäquate Antwort; wenn nötig, im Bruchteil einer Sekunde schon. Es klingt jetzt möglicherweise seltsam, doch liebte ich jene Situationen, die mich an den Rand brachten. An den Rand der Existenz zumeist, weil es doch oft genug auf Leben und Tod ging. Allein mein Lebenslauf wappnete mich; zu viel war geschehen. Verständlich oder nicht, ich hing nicht sonderlich am Lebe;, das war zweifellos mein Vorteil. Von dieser Sentenz beruhigt, die ich mir in den Nachtstunden einem Mantra gleich eingab, schlief ich wohl ein.  – Malinowski aber hörte  schlagartig auf zu schnarchen; schlug beide Augen auf. Die Iris weitete seine Pupillen im Nu.
Als ich aufwachte, lag er nicht mehr neben mir. Ich kroch vor, mir Hektik verbietend, zum Eingangsloch. Die bereits kräftige Sonne blendete mich. Also schirmte ich meine Augen ab und schaute um mich. Ich sah noch, wie Malinowski ausholte.

Fotzsetzung folgt.

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