Trikont

Um es mir diesmal besonders einfach zu machen, doch immerhin aus gutem Anlaß, hänge ich unten einen Artikel dran, den ich für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) 2009 geschrieben habe. In diesem Herbst feiert Trikont 50 Jahre seines Bestehens, und das muß unbedingt gewürdigt werden. Mit einem alten Text wie dem hier –  oder aber einem neuen, der demnächst bei der NZZ erscheinen wird, wenngleich er im Grunde den gleichen Ton wie ehedem anschlägt. Vor Trikont verbeuge ich mich aber auch zweifach gern.

Kaum über der Schwelle des dreigeschössigen Hauses in der Münchener Kistlerstrasse 1, da zeigt Achim Bergmann auf  eine Zeichnung an der Wand. Auf ihr reihen sich hintereinander: ein Bayer, ein Indianer, eine Art Punk, zuletzt ein Hippie. Sie wollen alle auf den rotierenden Teller eines Grammophons, wo sich gerade ein Nackter dreht; umgeben sind sie von umherschwirrenden Noten. Die Zeichnung macht deutlicher, was Bergmann zuvor schon bei einer Schorle im schmalen Vorhof bekräftigt hatte: Es gab zur Gründungszeit von Trikont  keinen homogenen Stammbaum der Mitstreiter. Die Menschen, die damals auf die Strasse gegangen sind, die sich in der ausserparlamentarischen Opposition engagierten, die die Fabriken aufsuchten, um  mit Arbeitern gemeinsam Politik zu machen, kamen aus unterschiedlich geprägten Winkeln. Er selbst stamme aus einem gänzlich unpolitischen Haushalt, sagt Bergmann. Seine erste Demonstration sei die nach dem Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 gewesen. Er wurde in Gewahrsam genommen, am nächsten Tag war er unterwegs nach Paris, wo er eine Woche in der Cinematheque Francaise verbracht hat, bei Filmen von Howard Hawks und John Ford.  Ein Kurzschluss zwischen Politik und Kultur, der weitreichende Folgen haben sollte.
Bergmann ist ein Mann der ersten Stunde. Zumindest jener Stunde als Trikont, so benannt nach der kubanischen Zeitschrift „Transkontinentale“  und beginnend 1967 in Köln, ein Jahr später nach München umzog; als Buchverlag noch. Erst 1971 kam Musik hinzu. Aus der Not habe man anfangs agiert, da es bis dahin in Deutschland keine Populärmusik gab, abgesehen von Schlagern, die nichts von der Lebenswirklichkeit mitzuteilen vermochten, die originale Emotion nicht zu wecken imstande waren, die alle Konflikte mit Wohlgefallen zutünchten…
Bergmann ist inzwischen 66 Jahre alt, sein Gang mag schwankend sein, aber an Spannkraft hat der mächtige Westfale seit den Studententagen offenbar nichts eingebüsst. Mühelos kann er einem den Glauben an die Musik vermitteln – als bedeutende Triebfeder sozialer Prozesse ohnehin. Ihn ärgert die Verfügbarkeit des Pop, denn nach wie vor sträubt er sich dagegen, Musik als bloss einen weiteren Zeitvertreib zu begreifen. Musik ist für ihn eng an die Existenz gekoppelt; das Vortragen substantieller Wahrheiten, gar nicht humorlos, steht bei Trikont oben an. Folglich gibt es kaum eine Trikont-Platte, die einen kalt lässt.
Trikont, das älteste unabhängige deutschsprachige Plattenlabel, hat sich ein Ansehen von Belang erarbeitet. Der BBC-Discjockey John Peel war ein treuer Anhänger des Programms, zuverlässig werden die Münchner von führenden britischen Medien hofiert, regelmässig melden sich mit Lob Grössen aus New York. Nicht nur, aber wohl doch vor allem werden die üppig und fachkundig ausgestatteten Kompilationen gepriesen; Kompilationen,  wie die eben erschienene zweite Folge der Reihe „Creative Outlaws“, die sich dem UK-Untergrund der Jahre 1965-71 widmet und lauter eigen scheinende Schmuckstücke ans Tageslicht bringt.
Genregrenzen kennt bei Trikont keiner, auf die Inbrunst des Musikmachens kommt es lediglich an. Deswegen veröffentlicht man bayerisches Liedgut und Guz und Rocko Schamoni und den Jazzswinger Coco Schumann, vietnamesische Strassenmusiker,  mexikanische Boleros, finnische Tangos, Attwenger… Nahezu nichts ist undenkbar, alles machbar – sofern unverfälschtes, gern widerhakendes Dasein durchscheint. Bergmann sagt: „ Musik ist die freieste Kultur. Nimm dir eine Gitarre, such dir ein Publikum. Die Musiker, die wichtig sind, kommen mitten in der Gesellschaft an.“
Ein Wendepunkt war die Ankunft der Italiener von Lotta Continua, einer Studentenbewegung, die sich mit den Arbeitern bei Fiat solidarisierte; Ende der Sechziger war es. „Die sangen immer“, sagt Bergmann, „Wir, Akademiker aus dem sponti-linksradikalem Milieu,  kamen dann darauf, selber Songs zu machen, weil es ja keine für uns gab.“  Zunächst erschien also ein Longplayer mit Liedern von Gastarbeitern aus dem BMW-Werk. Das war die Kampfansage. Trikonts Slogan „Our Own Voice“  kam etwas später.
In den Räumen des für den Arbeiterstadtteil Giesing fast typischen, unaufgeregt-chramanten Baus in der Kistlerstrasse herrscht das, was man leichthin „kreatives Chaos“ nennt. Die Wände zieren Poster, Notizen, Fotografien, die Küche erinnert an Wohngemeinschaften, die Leute duzen dich rasch. Neben Bergmann und seiner Lebensgefährtin Eva Mair-Holmes, der entscheidenden Achse, gehören drei weitere Mitarbeiter zur Mannschaft, wählen aus und organisieren, Graphiker und Herausgeber arbeiten außerhalb des Hauses.
„Nahtstellen zwischen Populärmusik und Wurzeln“ will er auftun, denn „eine Kultur komme immer irgendwoher“, sagt Bergmann. Durch Forscherdrang gelingt Trikont Mal ums Mal einer regional wurzelnden Band zum breiten Erfolg zu verhelfen. Labrassbanda sind es zur Zeit; fünf junge Bayern, die alpenländische Bläsersätze mit Könnerschaft zur Tanzbarkeit hin lenken – und damit für emotionale Ausbrüche sorgen, die der oft tanzfaule Deutsche von Seinesgleichen bislang nicht gekannt hat.
Oder ein Hans Söllner, den Trikont seit 30 Jahren unter Vertrag hat und der insgesamt über eine Million Platten aus lauter bayerisch filtrierten Reggaeverweisen verkauft hat. Ein mittlerweile 54jähriger, der an sich ohne Unterstützung der Öffentlichkeit auskommt und mitunter recht radikale Ansichten über Drogenkonsum sowie die den Freistaat regierende Christlich Soziale Union vertritt. Söllners Publikum verjüngt sich beständig. Mitten unter den Menschen sei der Söllner angekommen, sagt Bergmann.
Voll Achtung spricht Achim Bergmann immer wieder von den USA. Eine echte Kulturrevolution, womöglich die grösste des vorigen Jahrhunderts,  hätte sich da mit dem Durchbruch des Pop ereignet. Mit nachhaltiger Wirkung für die ganze Welt. Er spricht von „Demokratisierung der Kultur“, von Populärmusik als einem „Mittel, um in die Gesellschaft reinzugucken“, von ungekannter Tiefe. Von Dingen also, die er mit Trikont längst erreicht hat.

 

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