Ja oder nein oder dazwischen? Leben wie der Miles.

Beim Übersetzen von Tomasz Stankos Biografie „Desperado“, die der befreundete Mäzen Reinhard H. aus der Hansestadt Hamburg, wo viele Pfeffersäcke daheim sind aber dann doch auch einige Freigeister, grosszügigerweise finanziell unterstützt, fiel mir auf, wie radikal Stanko, der Jazztrompeter, die Improvisationskunst auf das Leben anwendet.  Das Leben gehört improvisiert, sagt er mehr oder weniger durchgängig.  In die Improvisation aber, und somit ins Leben, gehören unbedingt Fehler hinein, denn erst sie öffen neue Sichtweisen, weisen neue Sichten usw.  Stanko sagt mitunter einleuchtende Dinge wie: „Kreativität kommt von Fehlern“ , „Es geht um die Frische, die aus der Überraschung über einen Fehler resultiert.“ Er holt sogar derlei aus: „Ich weiß noch, was Hancock über das Zusammenspiel mit Miles (Davis, A.d.Ü.) gesagt hat. Er erinnerte sich, wie Miles einmal eine komplett falsche Note reingehauen hat. Und seinen Fehler aushielt. Und ihn sogar noch verstärkte. Die Musik holte die Note wieder ein. Um diese seltsame Note herum entstand eine Art  Wirrwarr. Und das Ganze riss sowas von aus! Etwas geschah mit der Ausdruckskraft und der Spannung! Es brodelte unglaublich. Darauf basieren die Entdeckungen der Improvisation. Das, was Miles da spielte, das waren Fehler, nur akzeptierte Fehler. Die Charakterstärke und der Glaube an sich selbst richteten es ein, dass Miles so instinktiv reagierte. Er bog nichts weg oder versuchte es zu reparieren. Er hiiiiielt es aus! Und das Leben holte den Fehler ein! Und begründete ihn. Es tauchte ein Ding auf, das es ohne Fehler nicht gegeben hätte. Es gibt solcherlei Aufnahmen. Wo die Ausdruckskraft sich „Ja oder nein oder dazwischen? Leben wie der Miles.“ weiterlesen

Das Dorf der noch Verdammteren

Der BR2, das ist einer der Radiosender um uns, den ich gegen 6.30 Uhr einschalte und dem ich halbwegs zuhöre, während ich Brote belege, bringt morgens gerade eine Serie, die vom Flächenfraß in Bayern handelt. 13 Hektar Natur gehen täglich in Bayern flöten, weil darauf etwas gebaut wird. Parkplätze vor Discountern, Straßen, Gewerbe- und Industriegebiete, Häuser und Häuschen, die kaum in die Höhe ragen und nicht etwa, wie es sinnvoll wäre, mehrere Parteien beheimaten, sondern mit wenigen Bewohnern eher in den Naturraum immer weiter hinein drängen; mit dem üblichen Garten also, nach strikten Vorgaben überdachtem Carpark etc. Nun. Der Discounter ist für den Arsch, das wissen wir, obwohl wir alle dann und wann beim besagten ARSCH mit schlechtem Gewissen oder aber hirnlos einkaufen. Der Discounter ist mächtig und gewissenlos, obwohl ja von unseren Mitmenschen gelenkt, und kauft sich in die Gemeinden meist ohne hörbaren Widerstand ein. Der Preis ist heiß, so hieß mal eine aus dem Konsumtempel namens USA importierte RTL-Werbesendung mit Harry Wijnvoord, die Discountern den Weg ebnete; so mein Verdacht zumindest. Der heiße Preis oder aber:  Alles eine Frage des Geldes – keine Sendung, lediglich ein gängiger Spruch; dem Discounter kann man letztendlich nur mit einer Gegenmacht beikommen, in Form von Kapital oder Wurfgeschoss, die Wahl der Waffen gehört nur uns. Ihn ARSCH zu nennen ist aber immerhin

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Das Dorf der Verdammten

Das Dorf der Verdammten, so hieß mal ein Spielfilm, als Science Fiction-Horror gern bezeichnet;  1960 in England gedreht, dann 35 Jahre später von John Carpenter noch einmal nachgebaut. Carpenter hat ein paar gute Filme gemacht, dieser aber ist nicht dringend sehenswert; das Frühwerk zählt. Besser sind fraglos: Dark Star, Assault On Precinct 13 (Assault – Anschlag bei Nacht), Halloween, The Fog, Escape from New York (Die Klapperschlange), dann  war im Grunde schon Schicht mit ihm; er drehte zwar, doch ohne zu beeindrucken. Seine Musik aber, Carpenter ist auch Soundtrackkomponist, ist derzeit einigermaßen gesucht – sehr reduzierte Synthesizerklänge sind es zumeist, die simple, deshalb eingängige Melodien etwas isolliert dastehen lassen, bestenfalls mit einem Unterton von, genau, Horror. Bei Gelegenheit, weil es mich bei der bloßen Erwähnung von HORROR inzwischen immer überkommt, weise ich auf mein E-Book hin, das bei epubli schon vorliegt, bald aber auch bei anderen Portalen angeboten wird. Von Carpenter hat mein Text nichts, aber Stichworte wie Dark, Assault, Ween, Fog, Escape passen darauf zufälligerweise schon. Ist dies nun ein wirrer Einstieg? Es könnte noch wirrer „Das Dorf der Verdammten“ weiterlesen

Godzilla vs. E-Book

Für jemanden, der nicht mal extrem bibliophil ist, Bücher aber fast schon grundsätzlich mag, weil er mit ihnen aufgewachsen ist, sie an seiner Lebensgeschichte bewußt oder durch eine Abfolge von Zufällen beteiligt hat, für jemanden, dem ein Buch eine spannende und gern unterhaltsame Existenz zwischen den Welten bedeutet, für jemanden, dem  ein Buch zudem ein ästhetisches Erlebnis ist, für den ist ein E-Book ein fauler Kompromiss bloß. Für den sind Buch und E-Book ein Gegensatzpaar gar, die gegeneinander bis aufs Blut oder Druckerschwärze oder Dateiformate kämpfen. Wie weiland Godzilla versus Hedorah bis auf Kunstblut kämpften; das meint: die humanoide, affenähnliche Echse gegen ein grobschlächtiges, hässliches, gewaltbereites, hirnloses Monster. Das ein Hinweis auf einen nicht unbedingt sehenswerten japanischen Film aus den frühen Siebzigerjahren, mit dem manch einer wohl oder übel ebenfalls seine Lebensgeschichte teilt. Die Parallele zu Godzilla und dem Buch hat wie alle nicht streng mathematisch angelegten Parallelen ihr Limit. Godzilla gewann gewöhnlich ihre Auseinandersetzungen, das Buch verliert seit Jahren. Ein E-Book hat bestimmt einige Vorteile, die sich jede/jeder bitte nach Bedarf irgendwo anders aneignen sollte, wenn ihm/ihr danach ist, nicht aber hier.  Einer jener Vorteile, die mir einfallen ist: Man kann so ein Book, noch einmal: nicht zu verwechseln mit: Buch, in Eigenregie für wenig Geld produzieren lassen.  Dann an die gängigen Portale, die sich vom Verkaufspreis selbstverständlich was abzwacken, weiterleiten und abwarten. Und sich fortan Schriftsteller nennen.  Man lässt nichts für teuer drucken, streckt kein Geld vor im Unwissen, ob es je wieder eingespielt wird, muss nicht tausend Buchexemplare irgendwo lagern. „Godzilla vs. E-Book“ weiterlesen

Ins Bein schießen. Wie es geht und wo genau es weh tut.

Um sich gepflegt ins eigene Bein zu schießen:  Autorenlesungen sind mir fremd.  Musikmachen kann ich nicht, das bisschen Kontrabass mit Alexander zählt nicht, aber lesen kann ich schon seit ein paar Jahren selber. Lesungen sind des Autors zusätzliche Einnahmequelle, schon recht, doch das Brimborium um den Schriftsteller verdeckt zu oft die Qualität des Bucherzeugnisses selbst. Es ist ja auch nicht zwangsläufig so, dass  jemand, der ein Buch geschrieben hat, aus ihm gut vorzulesen vermag. Schön und gut, man möchte ein Gesicht zum Erzeugnis, kann man schwer, aber vielleicht noch verstehen. Doch ein gegoogeltes Foto tut es auch. Möglicherweise sieht der Autor darauf sogar fescher aus als live. Man überschätzt bei Gelegenheiten wie Autorenlesungen den Schriftsteller und lässt ihn ungehindert die Welt deuten. Zwar befindet er sich unter Umständen mehr in der Öffentlichkeit als der Durchschnittbürger, der öffentlich lediglich U-Bahn fährt, ins Programmkino geht oder zum Italiener, aber Wegweisendes zu erzählen muss er nicht unbedingt haben. Aus unerfindlichen Gründen scheint er befugt, den Fleck auf der Hose genauso zu kommentieren wie die Herzrhythmusstörungen des Universums.  Unerfindliche Gründe? Diese Fehleinschätzung des Autors könnte aus einer Zeit stammen, als es noch Universalgelehrte  gab, die halbwegs vernünftige Prosa schrieben, aber von Dingen außerhalb des geschriebenen Wortes mindestens ebenso halbwegs Ahnung hatten. Der Universalgelehrte, der ungefähr mit den Dinosauriern einging, konnte jedenfalls noch was von Nachhall und Bestand sagen, sogar dem unaufgeklärten Menschen einen Tipp von Wert für die Lebensgestaltung geben. Heute macht einen die Vielfalt der Stimmen platt, das Leben gestaltet allenfalls der Routenplaner. Grundsätzlich gilt, zumindest für mich, fast dies: Der Autor schreibt. Er schreibt nicht umsonst. Er möchte nicht reden. „Ins Bein schießen. Wie es geht und wo genau es weh tut.“ weiterlesen

Das Verschw

Welch großartige Darsteller – und besonders: Nebendarsteller, selbst in den kleinsten Rollen. Das gab es  im deutschen Fernsehen nie, oder, vorsichtiger angefaßt,  äußerst selten nur; das zumindest hat zweifelsohne Hollywoodformat. Man staunt über die Detailarbeit und vergißt darüber fast den Inhalt von dem Vierteiler  – à 1,5 Stunden – „Das Verschwinden“, der gerade in der ARD gelaufen und in deren Mediathek noch im November zugänglich ist.  Dabei ist der Inhalt fast genauso großartig.  In der oberpfälzischen Provinz, ganz nahe der tschechischen Grenze,  verschwindet ein 19jähriges Mädchen – der Motor, der etliche Personen in die Gänge setzt. Die Mutter des Mädchens zuvorderst, die es voll Willenskraft sucht, dann die zwei Freundinen, die eine kurz vor Abitur, die andere 20 und an sich in Bayreuth beim Studium; plus deren Familien. Plus den türkischstämmigen jungen Mann, der die Mädchen mit Drogen versorgt hat; plus dessen Familie plus eine Handvoll Kriminalbeamte plus BKA-Handlanger plus den und diesen. Jeder Figur, noch der klitzekleinsten unter ihnen, wird hierbei die volle Aufmerksamkeit geschenkt, sie wird wenigstens kurz mit knappen Sätzen oder signifikanten Bewegungen dargestellt, die freilich einen ganzes Lebenskosmos evozieren. So entsteht mehr Kunst denn blosses Fernsehen .  Eine Lüge hat hier jeder parat. Oder hat sich gleich in ihr – der Lebenslüge – eingerichtet.  Einfache Lösungen gibt es nicht. Nichts läuft jedenfalls geradling, nahezu alles ist mehrschichtig oder gar bis zur Unkenntlichkeit verworren angelegt.  In der Kleinstadtatmosphäre mit deren Zuständen ist man sofort drin.  Das liegt in erster Linie an der Arbeit eines erfahrenen „Das Verschw“ weiterlesen

Der Bund macht Mali

Jetzt mal zur Abwechselung eine Frage von Gewicht: Wer ist denn hier ein Freund von Reality-TV? Aha. Etwa, weil man dort das faktische Leben beobachten kann? Das könnte eher falsch sein. Fakt ist bestimmt, dass bei dieser Art von TV  keine Schauspieler am Werk sind, sondern Menschen von der Strasse als Selbstdarsteller – die vermutlich die Kamera, die sie begleitet, nie vergessen.  Es sind auch Orte da, die tatsächlich existieren und nicht Kulissen & Bauten. Insofern real. Was aber beim Dreh zum Teil zu passieren hat, wie das Material später bearbeitet wird, ist wiederum höchst sugges- und subjektiv und folgt einem Storyboard. Weil ja Reality-TV gesehen werden will und sich folglich, als  Abbild aktueller gesellschaftlicher Vorlieben, um Spannung und Dynamik bemühen, d.h. den Sehgewohnheit der Zielgruppe folgen muß, die Quote stets im Blickfeld. Nun eine andere Frage, die in die gleiche Kerbe dreschen mag: Hat jemand die Werbung der Bundeswehr für Mali gesehen? Auf den Bildschirmen am Hauptbahnhof vielleicht? Sieht aus wie die Werbung für Call of Duty. „Der Bund macht Mali“ weiterlesen

Heimgarten

Der Mensch gibt und findet keine Ruhe.  Er muß tun, um sich zu vergewissern, dass er lebt.  Erst im Tun spürt er das Gewicht, das Leichtgewicht, wenn es gut läuft, seiner Existenz. Erst durchs Tun bemerken ihn auch die Mitmenschen. Es ist vielerorts ein Zwang, so sehr von innen wie von außen gemacht. Der eine Mensch muß tun, weil der andere auch was tut; des Geldes wegen, das verdient gehört natürlich auch, aber ja. Man gönnt dem Mitmenschen  gewöhnlich keine Eskapaden ins Nichtstun. Wenn er, der Mensch von vorhin,  also nix tut und ihn einer etwa fragt „Was tust Du denn den ganzen Tag lang?“, dann muß eine gescheite Antwort her und nicht ein unter Umständen wahrheitsgemäßes: Nix. Hieve tagein tagaus  Zement hoch, darf es heißen. Stempel was, weiß aber nicht so recht was eigentlich. Oder: Bin bei der Feuerwehr und rette gelegentlich ein Leben. An die Arbeit, das ist der ausschlaggebende Punkt für diesen Text, schliessen direkt die Freizeitaktivitäten an, die nach fleißiger Bewegung verlagen, nach laufen, springen, weitwerfen. „Heimgarten“ weiterlesen

Die Xu, der Xi & Rüssel

Hat man so eine Chinesin schon mal gesehen? Die richtige Antwort lautet: Hat man nicht.  So offen, herzlich, zugeneigt, lustig wie Xu Fengxia,  das entspricht dem Bild des Chinesen  bei uns  so gar nicht. Der Chinese, der auch gern die Chinesin sein kann, ist doch nur in der Mehrzahl zu haben, undurchdringlich, zielstrebig, reinlich und noch was, das ich gerade vergessen habe, jedenfalls Merkmale, die dem Menschengeschlecht nicht direkt schmeicheln müssen.  Seit 1991 wohnt Xu in Deutschland, im Bischofssitz zu Paderborn genaugenommen, doch das darf als Entschuldigung für ihre offensichtliche Lebenslust nicht gelten. Der Deutsche entspannt ja auch nicht, wann er will. Sie hat in Shanghai in einer Rockband Bass gespielt, dann in klassischen Ensembles, ausgebildet ist sie allerdings an der Sanxian, einem banjoartigen Instrument, das mit einem rundem, oft mit Schlangenhaut bespannten Korpus, einem langen, bundlosen Griffbrett ausgestattet und mit drei Saiten bespannt ist. „Die Xu, der Xi & Rüssel“ weiterlesen