Ins Bein schießen. Wie es geht und wo genau es weh tut.

Um sich gepflegt ins eigene Bein zu schießen:  Autorenlesungen sind mir fremd.  Musikmachen kann ich nicht, das bisschen Kontrabass mit Alexander zählt nicht, aber lesen kann ich schon seit ein paar Jahren selber. Lesungen sind des Autors zusätzliche Einnahmequelle, schon recht, doch das Brimborium um den Schriftsteller verdeckt zu oft die Qualität des Bucherzeugnisses selbst. Es ist ja auch nicht zwangsläufig so, dass  jemand, der ein Buch geschrieben hat, aus ihm gut vorzulesen vermag. Schön und gut, man möchte ein Gesicht zum Erzeugnis, kann man schwer, aber vielleicht noch verstehen. Doch ein gegoogeltes Foto tut es auch. Möglicherweise sieht der Autor darauf sogar fescher aus als live. Man überschätzt bei Gelegenheiten wie Autorenlesungen den Schriftsteller und lässt ihn ungehindert die Welt deuten. Zwar befindet er sich unter Umständen mehr in der Öffentlichkeit als der Durchschnittbürger, der öffentlich lediglich U-Bahn fährt, ins Programmkino geht oder zum Italiener, aber Wegweisendes zu erzählen muss er nicht unbedingt haben. Aus unerfindlichen Gründen scheint er befugt, den Fleck auf der Hose genauso zu kommentieren wie die Herzrhythmusstörungen des Universums.  Unerfindliche Gründe? Diese Fehleinschätzung des Autors könnte aus einer Zeit stammen, als es noch Universalgelehrte  gab, die halbwegs vernünftige Prosa schrieben, aber von Dingen außerhalb des geschriebenen Wortes mindestens ebenso halbwegs Ahnung hatten. Der Universalgelehrte, der ungefähr mit den Dinosauriern einging, konnte jedenfalls noch was von Nachhall und Bestand sagen, sogar dem unaufgeklärten Menschen einen Tipp von Wert für die Lebensgestaltung geben. Heute macht einen die Vielfalt der Stimmen platt, das Leben gestaltet allenfalls der Routenplaner. Grundsätzlich gilt, zumindest für mich, fast dies: Der Autor schreibt. Er schreibt nicht umsonst. Er möchte nicht reden. Schreiben kann bestenfalls seine Begabung und Bestimmung sein, die Präsentation, das Reden und das damit einhergehende Vermarkten muss es ganz und gar nicht. Noch eine entscheidende Frage fällt mir ein: Wozu des Schriftstellers Lebenslauf erkunden?  Bei Autorentreffen wird nämlich, das die eigene Erfahrung, seitens der verehrten Leserschaft im Lebenslauf fleißig gewühlt. Zweifelsohne ist es ein natürliches Bedürfnis des Menschen, über jemanden, den man super findet, mehr wissen zu wollen. Doch bisweilen kriegt man dann – ein großes, für manch einen der Leser, ein allzu großes Risiko – über den Autor etwas heraus, was einem jedwede Lektüre seiner Büchern für  Ewigkeiten versaut. Dann noch was. Man sucht als ordentlicher Groupie nach Parallelen, den Autor im Text. Wenn aber der Autor in Literatur macht, kann die Literatur biografische Züge tragen, trägt ziemlich sicher derlei Partikel in sich, muß aber nicht. Den Autor also zu Überschneidungen zwischen Realität und Fiktion zu befragen, führt nirgendwo hin – außer dass man als Groupie referieren kann, hier sei er mehr anwesend, dort aber nicht.  Oder das so akkumulierte Wissen an die Boulevardpresse verkauft. Das jedenfalls ist eine durch und durch öde Non-Leistung, für die der Einsatz der Streckbank wieder mal, aber bestimmt nicht zum letzten Mal heute, angebracht wäre. Das einzige Mal, dass mich ein Autor bei seiner Lesung einnahm, mich also widerlegte, ist lange her. Im Hamburger Literturhaus las Anfang der Neunzigerjahre Joseph  Brodsky, ehemals Iossif Alexandrowitsch Brodskij. Er las seine Gedichte im Modus othodoxer Liturgien. Mit wallender, von der Höhe ins Parterre und zurück fallender, äußerst monotoner Stimme. Da war endlich eine eigene Form,  eine Performace womöglich, obwohl Brodsky kaum gestikulierte. Wenn ich länger nachdenke. Harry Rowohlt, der konnte, trotz aller Vorbehalte, auch lesen, wenngleich er keine eigene Literatur im Gepäck hatte. Günter Grass beim Zeltmusikfestival in Freiburg, noch lange vor Nobelpreis, tief in den Achtzigerjahren, der tat es auch sehr ordentlich. Allerdings im Duo mit dem DDR-Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer, der auch immer eine Performance – manch einer sagt dazu: Clownerei – hinlegt. Brodsky ist tot, ebenso Rowohlt und Grass. Daraus ziehe ich jetzt keine tiefgehenden Schlüsse. Ich freue mich auf Günter „Baby“ Sommer beim Literaturfest München. Er spielt sein Schlagzeug und Nora Gomringer, die ich nicht weiter kenne, obwohl sie bekannt sein soll, auch weil sie den Ingeborg- Bachmann–Preis 2015 gewonnen hat, wird lesen oder slampoetern oder was.  Klingt das jetzt widersinnig? Nein. Musik kombiniert mit Wort, das geht bei mir immer tief rein.

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