Zettel der Willkür plus Naht von G. gleich Skonto bei Homo S.

Man kann dem Deutschen viel vorwerfen. Dass er ein wichtigtuerischer Popelkrämer ist, der auf Befehle vom Führer wartet, die er empfängt und unverzüglich und akurrat verrichtet, das sicher zuoberst und mit vollem Recht.  Ein Strafzettel wäre diesmal zwar ein schwacher Beleg hierfür, doch ein Beleg allemal. Der Tatbestand für den Zettel, denn das ist das vorauseilend einschüchternde Wort für diese Sorte Vergehen, war eine auf die falsche, auf zu frühe Uhrzeit eingestellte Parkscheibe. Versehentlich, in Eile eingestellt; statt auf 16, die Zeit der Einfahrt in die fürs Automobil vorgesehene Parkbucht, auf 15 Uhr. Noch während des Anrufs beim Zweckverband Kommunale Verkehrssicherheit vermerkte der Sachbearbeiter am Ende der Leitung schriftlich den Einwand, der Tatbestand sei aus reinem Versehen entstanden;  meinte sogar, man könne die Richtigkeit der Aussage überprüfen, das heißt, ob der- oder diejenige tatsächlich erst um 16 Uhr in der Parkbucht gewesen sei. Er stellte mindestens eine Minderung  des Bußgelds in Aussicht, sofern man via Mail eine kurze Eingabe zum Ablauf machte; per Post käme dann bald schon eine Revision des Tatvorwurfs beim Täter an. Die Mail war sogleich geschrieben, schrieb sich quasi von selbst. Fast zwei Wochen hernach, fast war das Ding verjährt schon, vergessen allemal, kam Post. Eine Änderung des Tatvorwurfs, anstatt der überzogenen Parkdauer – man hatte festgestellt, die Parkscheibe sei tatsächlich auf zu frühe Uhrzeit eingestellt gewesen –  nun die falsch eingestellte Parkscheibe; was allerdings einen neuen Tatbestand bildete, offenbar gleich schwerwiegend. Der Tatbestand hätte sich zwar geändert, die Verwarnung aber bliebe, hieß es bei der telefonischen Rückfrage trocken. Man hat nichts Schlimmes getan, so in etwa, aber man hat getan, das reichte. Weil die Verwarnung blieb, blieb das Bußgeld auch. Und zwar, wie amüsant, in exakt gleicher Höhe wie anfangs schon. Dafür, um Bürger an die oben postierte, stramme Macht zu erinnern vielleicht nur, eine Macht, die das kann, was im Bereich des Könnens denkbar ist, geschah ein Hinundher zwischen Privatperson und Amt, mit Mails und Telefonaten, einem vierseitigen Brief mit Briefmarke drauf. Kosten und Energien wurden in den Äther gesandt … Zum Wohle eines allgegenwärtigen, eines totalen, eines immateriellen Führers? Das wird man sich wohl als armer H. Sapiens, dem ein Versehen nicht zugebilligt wird, im Stillen fragen dürfen? Kein System lässt  Fehler zu. Ein System ist ein System, weil es geschlossen ist und auf reibungslose Funktion ausgerichtet. Fehler zerlegen Systeme à la Staat gelegentlich. Müßte man demnach in diesem Augenblick die Willkür des Handwerks loben? Oder ist es wieder nur ein System der Willkür? Wenn ich unser Sofa betrachte, muß ich mir unweigerlich solcherlei Fragen stellen. Weil doch der Polsterer G. aus S. unser schlichtes, doch formschönes Sofa des Designers E. aus Neuendorf zugerichtet hat. Der teure Stoff war ausgesucht, mehr Naturmaterial ging wirklich nicht. Wir vereinbarten mit dem Polsterer, einem sympathischen Veteranen der Postererkunst mit zwei künstlichen Kniescheiben, bei dieser besagten Stoffmenge lediglich zwei Nähte auf der Sofarückseite. Ein paar Wochen später kam das Sofa an. Wurde aufgebaut und als gelungen bepolstert abgenommen. Der Polsterer nach Danksagung mit dem zum Transport bestellten Sohn auf dem Weg zum Van fast schon. Da fielen mir zwei Nähte an der Lehnenoberkante auf. Der Polsterer wies zwischen Tür und Angel wortreich und leicht unsortiert auf den teuren Stoff hin, der nicht ganz ausgereicht hätte, wovon er, sicherlich einer von der alten Schule, kein Fitzelchen verkommen lassen wollte. Kein Wort der Entschuldigung seinerseits. Nie habe ich bislang ein Wort der Entschuldigung von einem Handwerker gehört. Jemand dort draußen im Äther vielleicht? Nein? Dann sollen sie allesamt in die Hölle dafür. Was mir aber besonders zusetzte: Der Polsterer hatte uns die Entscheidung abgenommen. Wem gehörte denn das Sofa? Wir waren es doch, die zu entscheiden hatten, ob überhaupt oder wo wir die Nähte hätten haben wollen. Ein Anruf des Polsterers zur rechten Zeit hätte genügt. Womöglich hätten wir noch die Bestellung eines Stoffmeters beschlossen… Scheiße; wir waren doch die Auftraggeber, nicht er. Er aber hatte für uns entschieden. Sind Willkür und System eine Art urdeutsches Liebespaar, wie Isolde und Tristan etwa? Ist der Führer ein Handwerker bloß, der kein Verzeihen kennt?
Wir müssen allmählich mit dem Sofa leben lernen. Dabei habe ich noch eine Naht entdeckt. An der Front, im unteren Teil. Und noch zwei Nähte hinten. Das Sofa ist nicht makellos. Dass wir es alle nicht sind, ist ein zu schwacher Trost.
Versehen und Willkür scheinen unser Los für immer. Die Rechnung ist aber bereits bezahlt. Es gab ein wenig Skonto bei flotter Überweisung, deshalb vor allem.

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