Die Welt ist ungerecht. Ein Gemeinplatz zwar, doch gemein ist als Einstieg immer brauchbar. Ungerecht also. Die Besseren von uns, die Idealisten und Feuerhüter, mühen sich unverzagt um Gerechtigkeit; ein heldenhaftes Verhalten, das selten belohnt wird. Nein, das soll jetzt hier keine Ethikvorlesung werden. Wir sehen nur beständig Leute kommen und gehen, die diese Welt angeblich bewegen, die sich Erfolg gepachtet zu haben scheinen, aber inwendig, vor allem als menschliche Kreaturen, bloß äußerst hohle Pfeifen sind. Mehr oder minder auf Kosten der Mitmenschen leben. Offensichtlichkeiten im Radio und Fernsehen oder online oder Druckbuchstabe von sich geben. Die grundsätzlich nichts von Gewicht zu erzählen haben. Auch so gar nichts, das einen wirklich unterhält. Ihre vermeintlich hübsche Visage ohne einen Funken teilnehmende Regung – dafür mit unverschämter Chuzpe, die Gott weiß woher kommt, sicher nicht aus dem Wissen um die Beschaffenheit der Dinge heraus – in die TV–Kamera halten und gut Kasse damit machen. Es passiert schon mal, dass einer, der was kann, der vielleicht auch nur sein unmittelbares Umfeld bereichert, eine Art Sinn für die Dinge großzügig und uneigennütig der Allgemeinheit mitteilt, nach oben gespült wird, den wohlverdienten Ruhm im kleinen Rahmen einfährt. Weit öfter aber fällt kein Glanz auf Grossartigkeiten. Auf grossartige Musiker etwa, die kürzlich gestorben sind. Auf einen wie Sunny Murray, den Schlagzeuger, der den Bop auswendig gelernt hat und den es doch schnell in freiere Gefielde zog. Der Anfang der Sechzigerjahre durch Liveaufnahmen mit dem Trio des Cecil Taylor, zum Trio gehörte noch der Altsaxophonist Jimmy Lyons, im Kopenhagener Jazzhus Montmartre bekannt wurde. Wohl der erste Schlagzeuger überhaupt, der nahezu alles offen ließ, den geradlinigen Rhythmus beiseite, den Acker für alle Teilnehmer zum Umpflügen ready. Auf diesen unbestimmten Acker wagten sich dann nur die Besten, die Improvisation geradezu als Lebenskonzept verstanden; Leute wie Albert Ayler, Alexander von Schlippenbach, John Edwards, William Parker oder eben Taylor. Murray ließ die Becken an- und abschwellen, seine Schläge lagen neben dem Metrum, in seiner Spielweise war etwas Archaisches und wohltuend Vages enthalten. Es ist wahrscheinlich nicht ganz falsch zu behaupten: Sunny Murray emanzipierte das Schlagzeug radikaler als alle vor ihm. Als Leader war er ebenso tätig, doch ohne genug Eigenheit hinterlegt zu haben. Als Komponist war er wohl weniger begabt. Seit Jahrzehnten lebte er, der aus Oklahoma stammte – ein Expatriate wie so viele schwarze Jazzer vor ihm – mit seiner französischen Frau in Paris, wo er auch starb. Nicht in Armut, aber in mittelprächtigen Verhältnissen – keineswegs aber in Ruhm & Reichtum, was ihm ohne ein Wenn zugestanden hätte. In der Öffentlichkeit sah man ihn in den letzten Jahren wenig. Obwohl von Musikern des freieren Jazz als einer Besten anerkannt, suchte man selten gezielt seine Gegenwart. Zu vermuten steht, dass Murray in irgendeiner Form schwierig war. Auch der zweite Tote des Dezember 2017 wurde Zeit seines Lebens zu wenig beachtet. Roswell Rudd aus Connecticut spielte die Posaune erst bei Dixilandbands, bevor auch er unter den Mentoren Herbie Nichols, auch so ein Verkannter, und später Steve Lacy in die Freiheit des Free Jazz fand. Das war in den späten Fünfziger- bzw. den frühen Sechzigerjahren. Er hatte also eine solide Portion Tradition intus; die blieb sein Fundament für immer. Aus der agierte er auch zwangsläufig heraus: Er wußte um Struktur, die erst Gegenstruktur, auch Chaos oder sogar produktives Chaos genannt, möglich macht. Fast jeder Zug verwies auf das Erbe seines Instruments, evozierte gar, Einbildung nur?, die Begräbnismärsche in New Orleans aus der Urzeit des Jazz. Auch die Sessions unter eigenem Namen, hier eine Parallele zu Murray, konnten Rudd in der breiten Öffentlichkeit nicht etablieren. Er machte oft bei den je einer Plattenfirmen je eine Aufnahme, die sich vermutlich zäh verkaufte, weil er verschachtelte Kompositionen, die die Bandbreite seiner Einflüsse vorführten, gemeinsam mit seiner puren Freude an gering kontrollierten Outbursts paarte. Das war für das Gros der Menschheit eine zu gewagte, zu wilde Kombination. Als Sideman blieb Rudd gefragt. Auf Anregung seiner zweiten Frau, die Musikethnologin ist, tat er sich in den letzten Jahren mit Vertretern der sog. Weltmusikszene zusammen. Von seiner Erkrankung an Prostatakrebs wußte man seit Jahren; wer ihn allerdings etwa beim New Yorker Vision Fersival 2013, quasi bei der Wiederbelebung des New York Art Quartet, das Rudd mit begründete, zusammen mit Milford Graves und Amiri Baraka gesehen hat, gab sich gern der Illusion von einem vitalen Mann von eleganter Erscheinung im Vollbesitz der Kräfte hin. Rudd ging damals auf der Bühne des Abrons Arts Center in der Musik vollständig auf. Verlor sich in ihr; fand aber auch immer heraus.
lieber adam –
daß murray auch komponieren konnte, sage (nicht nur) ich, das kommt von eingeweihten, was nichts heißen muss.
meine erwähnung murray hatte freundin nicht frau sollte nicht spitzfindig sein, doch drückt gerade diese nuance aus, wie schwer es für afro-amerikaner wirklich ist, auch
für expatriates, das zusammenleben mit isabelle soumillard funktionierte wohl für ein paar jahre aber eben nicht wirklich lange,
das hat mehrere gründe.
womit du sicher recht hast, auch das kam aus vielen mündern, murray war eine sehr komplexe persönlichkeit …..
sein 30qm apartment war insgesamt sehr leer, für einen pioneer, wo man etwa archivarisches vermuten möchte, eine erschreckende
kargheit, den gesamtwert seines interieurs schätze ich auf 300 euro, das ist kein witz aber so sieht armut aus und das macht mich,
wie ich dir dies schreibe, wirklich sprachlos – während buddy rich vermutlich zwischen seinen 3 häusern hin-und-her pendelte …..
und kompromißlose haltung, sich dem mainstream anzubiedern,
war sicherlich murrays charakter immanent …. er war, auch das
sagen viele, ein avantgarde-drummer, der immer helmholtz
„sensation of tones“ „mitdachte“ ….. a real maverick.