Kurt E. träumt

Es dürfte okay sein, dann und wann daran zu erinnern, was alles möglich ist.  In einem derlei saturierten Land wie Deutschland sowieso, einem Land, das nichts entbehren muß. Auch an Deutschland als ein Land zu erinnern, das von der preußischen Disziplinorder abweichen kann, wenn es denn mal mag; das nicht beständig die Made in Germany-Präzionsmaschine, der gut geölte Blitz  sein muß, vielmehr gelegentlich gänzlich anders kann als erwartet. Vor allem aber daran zu erinnern, wozu der Mensch fähig ist, wenn er zur Hochform aufläuft.  Was dann – im positiven Sinne – Weltbewegendes machbar ist. (Was denkbar ist, das ist auch machbar, dies als Faustregel von hier aus.) In all der politischen Resignation um uns rum – die da oben, wir da unten, die bescheißen uns doch ständig, gegen die kannst du ohnehin nichts ausrichten, Geld regiert die Welt, Haribo macht Kinder etc. –  ist es nicht schlecht sich darauf zu besinnen, auch um das Leben wieder wertzuschätzen und die Hoffnungsfahne in dessen Mitte hochzuhalten, welch einen Einfluß ein Einzelner auf das Staatsgeschehen nehmen kann. Und weil der 200ste Geburtstag des Karl Marx aus Trier in diesem noch unverbrauchtem Jahr gefeiert gehört und das Gefälle zwischen Arbeiterklasse sowie Bourgeoisie sowie der obersten Kaste eher zunimmt, könnte dieser besagte Einzelne für diesmal, obwohl gar kein strikter Marxist, Kurt Eisner heißen. Ein Kaufmannssohn jüdischer Prägung aus Berlin. Nicht unbedingt für den Kampf um die Belange des Proletariats von vorn herein prädestiniert. Ein Journalist in der Provinz, erst der SPD nahe, bald bei der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und von München aus schreibend und redend agitativ tätig.  Er organisierte im Januar 1918 einen Rüstungsarbeiterstreik und ging dafür ins Gefängnis. (Zuvor saß er schon einmal ein, weil er einen Satz gegen die Obrigkeit verfaßte.) „Er war nicht einmal ein ‚Roter‘, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne“, sagt der Literaturwissenschaftler Carl Amery in „Leb wohl, geliebtes Volk der Bayern“, einem lesenswerten Einblick gleichermaßen in Bayerns Oberflächen wie dessen Psyche. „Er war Kantianer, ethischer Sozialist.“ Amery führt es nicht weiter aus, was Eisner von Kant mitnahm, ob es um Realpolitik also mehr um Verstandesdinge ging; eher nicht. Doch Ethik, das ist ein Stichwort von Bedeutung. Eisner glaubte wohl an das Gute – im Menschen wie womöglich überall sonst. Er arbeitete mit der Jugend, hatte also wahrscheinlich auch eine didaktisch-vorausschauende Ader. In Ethikfragen scheint er allerdings weitgehend ein Anhänger von Utopia gewesen zu sein, was ihn zwar sympathisch macht, aber für die Realitäten unbrauchbar. Eine Märchengestalt? Ein Tagträumer? Der Erste Weltkrieg hatte Deutschlands Bevölkerung ziemlich zermürbt, man hatte genug, so dass fürs Moblisieren der Zermürbten jedweder Schichten die Zeit reif war.  Zur Bildung der Selbstverwaltung, der Räte, kam es nach einer Kundgebung auf der Münchner Theresienwiese, genau dort, wo sich heutzutage das Oktoberfest verausgabt. Von dort aus marschierten ca. 2000 Menschen, Eisner eingehakt beim blinden Bauernführer Ludwig Gandorfer an der Spitze, ins Kasernen- und Lazarettviertel im Norden der Stadt. Zivilisten wie Soldaten schlossen sich sich unterwegs an, ein Umsturz war im Gang. Noch in der Nacht lief Ludwig III. davon und man rief den Freistaat aus.  („In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 proklamierte Eisner schließlich die Absetzung des Hauses Wittelsbach und die Gründung der Bayerischen Republik. Damit wurde er der erste Ministerpräsident eines Volksstaates Bayern und regierte mit seinem Kabinett in Kooperation mit den in Selbstverwaltung tagenden Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten“, so heißt es online beim Münchner Stadtmuseum, wo es eine beachtenswerte Eisner-Ausstellung bis zum 14. Januar anzugucken gilt.) Was einen tatsächlich umhaut: Es fiel angeblich kein Schuß bei dieser Revolution, die als Novemberrevolution – einen Monat und ein Jahr zuvor: Oktoberrevolution; deren Folgen: versehen mit einem anderen Haltbarkeitsdatum – in die Nachschlagewerke einging.
Ein Schuß fiel allerdings dreieinhalb Monate später. Eisner wurde da mit einem Kopfschuß von einem rechtskonservativen Reserveleutnant auf offener Straße getötet. Zwar hatte Eisners USPD bei den Landtagswahlen im Januar 1919 eine üble Wahlniederlage hinnehmen müssen,  die Münchner Räterepublik wurde dennoch am 7. April ausgerufen. Sie hielt allerdings nur bis Anfang Mai, bevor sie die SPD brutal niederschlug. Über 600 Tote und einige erledigte Träume mehr, das war ungefähr die Bilanz.
Man sollte aus Kurt Eisner vermutlich keinen Helden machen. Er konnte keine Wände hochkrabbeln, das Batmobil war ihm unbekannt – und dennoch… Er war ein mit hehren Idealen versehener Mann, der für das Gemeinwohl was tun wollte. Mehr noch, was heutzutage selten ist: Er glaubte an den Menschen.
Sein Traum wird geträumt. Irgendwo. Und gerade.

2 Antworten auf „Kurt E. träumt“

  1. Ja, „mehr Eisner wagen“ – wäre gerade in diesen Tagen ein guter Gedanke!
    Überaus lebendig – auch in seinen Widersprüchlichkeiten – werden Eisner und seine Zeitgenossen in Volker Weidemanns neuem Buch über die Bayerische Revolution 1918/19 (Lesetipp für Herrn Dobrindt!). Eine von Axel Milberg gelesene mehrteilige Hörfassung gibt es derzeit in der BR-Mediathek (https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiotexte/volker-weidermann-traeumer-als-die-dichter-die-macht-uebernahmen-102.html)

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