Silvester für Schwächlinge

Sich vom Jahr zu verabschieden, das fällt nicht schwer. Nicht nur diesmal, immer. Ein herzliches: Hauab! genügt da. Vom alten Jahr wissen wir alles, das neue verspricht. Ob es hält? Niemand weiß. Man kann noch so fleißig spekulieren, Pläne schmieden, sich mit Listen für gute Vorsätze ausstatten – alles im Grunde Arbeit ohne Wert. Das Jahr wird uns garantiert überraschen. Im Guten wie im Bösen. Das ist doch eines jeden Jahres Merkmal: die Überraschung. Das sollte den Menschen an sich auf den Boden bringen. Dass er es nicht in der Hand hat, was da auf ihn zukommt. Dass er bloß eine Spielfigur, manch ein Skeptiker sagt: Witzfigur, in einem Spiel ist, dessen Regeln nur bedingt menschengemacht sind. Bringt es ihn auf den Boden? Auf den Hosenboden allenfalls, wenn er am Silvester noch vor Mitternacht nach einer Batterie Kleiner Feiglinge erst taumelt, dann fällt. In den Dreck fällt, weil es ein Dreckswetter dort draußen ist; ein Blick durch das vom Alten Jahr – genau, dem mit dem langen, gutbösezerzausten Bart – verschmierte Fenster reicht da um 9:07 Uhr aus. Die Freude an Silvester ist ein Ablenkungsmanöver. Man läßt die Vergangenheit möglichst laut zusammenkrachen, alleine, weil es vergangen & damit gegessen & man zu faul ist, um darauf zurückzublicken & daraus eventuell was zu lernen fürs Kommende, und freut sich aufs Neue, wovon niemand weiß, nicht mal Rumpelstilzchen, das wohl weiß, wie es heißt, was es denn bringt. Vielleicht den Tod. Vielleicht noch längeren Bart. Was ist das für Haltung? Eine, allemal von Lebensskeptikern aus, anzweifelbare Haltung. Silvester bringt es nicht. Silvester ist was für Schwächlinge, die harte Wahrheiten nicht vertragen. Grübeln bzw. Tieftauchen in der Badewanne punkt Mitternacht, das bringt es eher. Mit sich selbst ausmachen, was man ist und wohin bald mit einem. Sich der Wahrheit  über sich und die Welt stellen. Nicht zurückweichen in irgendwelche lautstarke, viel zu bunte Freudigkeiten, die Denkunvermögen unzureichend verdecken. Es gibt sie aber, die Leute, die sich Wahheiten stellen. Kevin Costner, überraschend unatraktiv & zurückhaltend, in „Open Range“ muss mit unangenehmen Wahrheiten sogar tagtäglich leben. Er hat in jungen Jahren relativ wahllos getötet. Wenn er es knallen läßt, dann gibt es auch jetzt sofort Tote. Er tut es nicht an einem bestimmten Tag, an Silvester zum Beispiel, er tut es, wenn Bedarf da ist. Wenn es Stunk gibt mit Michael Gambon, der die Rinder nicht  grasen läßt, wo die Viehtreiber sie grasen lassen wollen.  (Wir sind in den USA Ende des 19. Jahrhunderts, wo jeder  darf was er will …) Dann ist da noch der Robert Duvall. Der ist in „Open Range“ ein Stoiker ersten Ranges; das kann er sowieso gut, das weiß man. Duvall ist es schnurz, ob es Silvester gibt oder ob es eine Erfindung von Rumpelstilzchens Zugehfrau ist, er nimmt das Jahr ohne Mucks hin. Ein Mann mit Hoden. Erfreut sich an der Weite von Montana oder wo, die der Kameramann James Michael Muro denkbar farbkräftig eingefangen hat. Der Film, ausgestrahlt vorgestern, als 3sat einen kompletten Tag mit Western bestückte,  ist nicht durchgehend gut, doch hat er ein paar starke Szenen, die vom Leben und Sterben handeln. Während das Shootout gegen Filmende spektakulär gestaltet ist, ist die Liebsgeschichte  mit Annette Bening von äußerst flacher Gestalt. Dabei ist Bening sehr realistisch als alternde Frau mit kleinen Äuglein eingefangen, in die sich zu verlieben nicht schwer fällt.  Doch Costner, der einen Wortunmächtigen darstellt und der auch Regie führte, gebraucht zu viele Worte. Es werden letztlich zu bunt und zu knallern der Liebe unwegsame Wege  begangen. Silvester in  Liebe. Das war noch nie  eine Option.

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