Der Süden. Vom Süden aus scharf angeguckt.

Es ist schon auffällig, wie viele Kräfte im Servicebereich in unseren Gegenden nicht Muttersprachler sind. Warum wohl so viele mit deutlich unblasserem Teint als wir und nicht ungebrochenem Deutsch gerade im Gastgewerbe ihren Platz finden? Hat sich jemand schon mal einen Gedanken darüber gemacht? Nein, gar nicht in erster Linie, weil gerade auf diesem Sektor Arbeitskräfte fehlen und zugleich die Entlohnung so niedrig ist, dass sich ein Vatersprachler viel zu schade dafür ist. Nein. Vielmehr, dies eine vorläufige These, weil die Leute, die zu uns zumeist aus dem Süden und dem südlichsten Süden kommen,  Gastfreundschaft im Blut haben. Sie sind quasi von ihrer Natur aus und also grundsätzlich dem Menschen gegenüber freundlich gestimmt. Oder tun überzeugend als ob, was aber in der Außenwirkung aufs Gleiche hianus kommt. So fällt es ihnen auf jeden Fall nicht schwer,  Wünsche zu erfüllen. Nicht nur in Spelunken  sind diese Menschen tätig, auch in traditionellen Betrieben. In Wien zum Beispiel bei den Kaffeehäuser, die ja ein wesentlicher Ausdruck  der urösterreichischen, wenn nicht gar kaiserlich-königlichen Lebensweise (Kürzel: k.-k. L.) sind.  Dort sind mittlerweile viele Ober mit fremdländischen Wurzeln unterwegs, die jene barsche Tonart der alteingesessenen Kaffeehauskellnerriege abzumildern im Stande sind.  Das tut Not. Auch wenn gleichzeitig ein Vergangenheitseinsprengsel (der gewohnt-barsche Umgang) zugrunde geht. Jetzt könnte ich auf die Idee kommen und „Der Süden. Vom Süden aus scharf angeguckt.“ weiterlesen

Der Norden. Vom Süden aus gesehen. Teil II.

Wo schmeckt Buttermilch am besten? Bestimmt gut auf dem Gipfel des Rabenkopfs, gleich unterhalb des Gipfelkreuzes, aber doch nie so wie auf dem Deich. Auf dessen Verlängerung in Neuhaus/Oste; auf der in die Deichsverlängerung praktischerweise eingelassenen Treppe, die über ein streng, wir befinden uns unter Protestanten, sowie mit Hilfe von purer Schlichtheit anmutig gestaltetes Eisengeländer verfügt, das einem sicher hilft, sollte man durch zu üppigem Buttermilchkonsum in Gleichgewichtsstörungen geraten. Oder unter Verschleimung innerer Organe, inklusive Milz und seitlicher Propfkopf, plötzlich herzallerliebst zu leiden anfangen. Ein solches Geländer, genau: schlicht & anmutig, könnte auch Wiebkes Klönstov schräg gegenüber, von wo die besagte Buttermilch mäßiger Qualität stammt, in nicht geringer Zahl gebrauchen, wo zur Mittagszeit bereits die Flensverschlüsse gediegen fröhlich, wir stecken immer noch unter Protestanten fest, ploppen. So ein Geländer stützt ja bei Schwankungen aller Art gleich einem  gut gebauten Freund. Schlängelt man sich von der Treppe aber am dicht, vollbartähnlich efeubewachsenen, äußerst imposanten Contor aus Backstein vorbei, wo ehemals der hiesige Arzt mit Famile wohnte, heute aber offenbar kaum einer, schlängelt sich also drum rum, wobei es selbstverständlich lediglich gediegenes Schlängeln ist, und biegt so circa zwanzig Schritte nach Wiebke links ab, schlängelt sich fortan durch ein Gässchen, das man in einem von Geistern ruhmreicher Vergangenheit geplagten  1000 Seelen-Dorf nicht vermutet, das aber, das Staunen über das Überraschungskonvolut des Nordens hört niemals auf, eine Unzahl an Gässchen und gässchenähnlichen Gebilden vorweisen kann, gelangt man schlußendlich an die Dorfkirche. Die „Der Norden. Vom Süden aus gesehen. Teil II.“ weiterlesen

Der Norden. Vom Süden aus gesehen. Teil I.

Wo schmeckt Buttermilch am besten? Natürlich auf dem Deich. Vorzugsweise auf dem Deich von Neuhaus/Oste beziehungsweise in der Deichsverlängerung dort, die ins Herz des nicht mal 1000 Seelen-Dorfes führt, wo die Backstein- bzw. Klinkerhäuserzeile einem im Rücken fest sitzt wie harte Kante, auf der Treppe direkt davor strenggenommen, gegenüber von Wiebkes Klönstuv, wo man genauso eben jene Buttemilch wie auch eine Prizenrolle oder Matjes auf Schwarzbrot, das traditionelle Diätgericht der oberen wie unteren Zehntausend des sog. Hohen Nordens, ohne Umstand beziehen kann, und wo der Cappuccino leider nach etlichen dem Kaffee gänzlich unverwandten Dingen schmeckt – zum Beispiel nach mit voller Absicht plus Zauberhand aufgeschäumter Buttermilch.  Sonst – abgesehen von der Unverbindlichkeit des von ihr mit Hilfe des Vollautomaten fabrizierten Cappuccino mit einem handelesüblichen Kaffee – ist Wiebke die Verbindlichkeit in Person. Ein bisschen straight, aber das gehört zum Norden dazu wie das Matjesfilet in Frau Antjes Schlund. Frau Antje mag zwar aus Holland kommen, aber: vom Süden aus ist Holland nicht weniger nordisch als Neuhaus/Oste. Straight. Weil Wiebke nämlich den Schuljungen, der sich vor den ruhmreichen Blogger, diesem hier, in der Schlange nach Brötchen um ca. 7.72 Uhr unauffällig vorbei schiebt, mit den schlichten Worten zurechtweist: Mußt du dich denn vorzudrängen. Merke: Der Norddeutsche, gar nicht der Steve Reich oder ein La Monte Young, ist der Erfinder des Minimalismus per se. Selten wird droben mehr erzählt als unbedingt sein muss, der Mund lediglich so weit aufgemacht, dass das Gebiß vollkommen unsichtbar bleibt. Der Junge in der Klönstov, geschätzte 13, schwitzt folglich nicht unwesentlich an der Stirn, auch, weil er Anfang August in Niedersachen wieder in die Schule muss, murmelt etwas, das nach komplettem Wortsalat – freilich: angereichert mit Matjes – riecht und „Der Norden. Vom Süden aus gesehen. Teil I.“ weiterlesen

Drei Mangos und ein Todesfall

Tomasz Stanko ist tot. Mit 76. Ein Trompeter von weit hallendem Ruf. Dass ihm gerade die Lunge aussetzte, das hat nichts mit Ironie des Schicksals zu tun; das verbietet sich in diesem Zusammenhang zu sagen; verbietet sich grundsätzlich fast, wenn der Tod im Spiel ist. Es ist nur bitter und Punkt.  Stanko war ohnehin ein schmal gebauter Mann, mit dessen Lungenvolumen es, auf den ersten Blick, nicht weit her war. Auf den ersten Blick aber eben nur.  Wenn er Trompete blies, eröffnete er ganze Welten fernab gewöhnlicher Vorstellungskraft. Kontrastreich, ungefähr so melancholisch wie – nahezu gleichzeitig; dies: seine Kunst – durch und durch dreckig. Als einer der Handvoll hatte er sich die Jahrzehnte über einen vollkommen eigenen Sound zugelegt, der im Prinzip, das war sein Wunder, mit dem ersten Ton schon erkennbar war. Er war der überragende polnische Jazzman. Überragender noch als sein Förderer von einst, als Krzysztof Komeda, dessen kurzes Wirken in Polen bis heute unvermindert stark nachklingt.  Als Bandleader wußte Stanko, was er von seinen Mitmusikern wollte – und forderte es eindringlich ein. Verlangte also von sich was – und von anderen dann auch; und zwar nicht ein bisschen weniger.  Er war, wie das oft bei den Jazzmen vorkommt, ohne offensichtliche Allüren. Das habe ich aus erster Hand. Als ich ihn 2013 im New Yorker Rubin Museum of Art nach einem Konzert von Marilyn Crispell und Gary Peacock ansprach, mich kurz vorstellte und erwähnte, dass ich seine drei „Drei Mangos und ein Todesfall“ weiterlesen