Einmal Heimath und zurück

Heimatsound. Was für eine Wortkonstruktion. Sicher nichts für schwache Nerven. Kann sich nur eine Institution mit angekoppeltem Werbebüro einfallen lassen.  Keinen Schimmer, ob es sich der Bayerische Rundfunk (BR) selbst hat einfallen lassen, aber er protegiert die Heimatsound-Worthülse mit aller Macht, die wir den Öffentlichrechtlichen mit Hilfe unserer jährlichen Gebühren verleihen.  Man könnte mutmaßen, der BR verstehe darunter lauter bayerische Folklore – wogegen allerdings der Zusatz „Sound“ arbeitet, der neumodische Tendenzen garantiert und junge Leute an die Sendeanstalt  binden soll.  Klingt also im Vorderteil verstaubt, weil ja der Heimatverein gewöhnlich unweit des Veteranenvereins wohnt, und ein bisschen ausgleichend-nivellierend-modern im zweiten Teil dann.  Eine Konstellation wie eben aus dem Werbehandbuch: ein vermeintlicher Konflikt, der versöhnlich in einem einprägsamen Schlagwort endet. Nein, mitnichten eng ortsgebunden, der BR lokalisiert unter Heimatsound nämlich z.B. auch Österreicher. Was ja allerhand ist, kennt man die mintunter dramatisch ausartenden Wechselseitigkeiten von damals und heute zwischen den Nachbargemeinden Bayern und Austria. Wahrscheinlich hat das Vorgehen des BR nicht unbedingt Annexion im Sinn. Man will vermutlich kein Großdeutsches Reich Durchdrehender Nationen oder ein vergleichbares Hirngespinst selbststricken.  Man will bloß unter HEIMATSOUND Verwurzelung im Boden bzw. Acker bei einzelnen Künstlern festmachen. Die singen dann vorwiegend auf Bayerisch. Oder Oberallgäuerisch. Oder im Kärntner Dialekt. Es muss auch nicht unbedingt eine Fiddle oder eine Zither oder ein gamsbartbetriebene Hammondorgel dabei sein. Es reichen ein Dialekt und irgendein halbwegs ohrwurmmäßiger SOUND.  Man wirft auch allerhand Künstler in den Heimatsound-Topf, der über Ausmaße von hier bis zu den Fidschis verfügen dürfte.  Wirft gute Leute hinein wie Kofelgschroa, deren Bandbesetzung sich leider ab August verändert, weil ja die Von Mücke-Brüder die Band verlassen, was außerordentlich schade ist, und weniger gute wie die Sieger des diesjährigen Heimatsound-Wettbewerbs Buck Roger & The Sidetrackers aus München, die zwar jung sind, was dem BR lieb sein dürfte, aber dann doch nur gefälligen Pop veranstalten und teilweise gar auf Englisch singen.  Ein Heimatsound-Festival gibt es natürlich ebenfalls. Seit 2013, immer Ende Juli/Anfang August im Passionsthetheater Oberammergau. Immer ausverkauft und mit entspannter Stimmung versehen, wie man von Besuchern glaubhaft hört.  2018 werden dort Fanfare Ciocarlia auftreten, eine wenn schon nicht alles, so doch mindestens die Alpen wegblasende Kapelle aus Rumänien. Da weitet sich der Heimatsoundbegriff in für manch einem Patrioten ungeahnte Richtung, was wir, die Anti-Patrioten, ausdrücklich begrüßen wollen. Jetzt aber.
Jetzt und nimmer mehr könnte man ein Gedicht von Friedrich Hölderlin (1770-1843) anbringen. Müßte man nicht dringend, aber man könnte. Dieses Gedicht:

Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.

Ihr teuren Ufer, die mich erzogen einst,
Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
Die mich behüteten einst, der Heimat

Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
Sterbliche singen, mir aus dem Busen.

Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.

Hölderlin hat diese sechs Strophen „Die Heimath“ betitelt. Mit th wie bei Mathe. Strenggenommen ist der Heimatbegriff auch bessere, Obacht: th-Offensive, Arithmetik. Ein jeder von uns – eins, zwei, drei, fünf – sehnt sich danach, irgendwohin unterzukommen, nach einem Zuhause. Ob daheim nun konkret oder im Hirn angesiedelt ist, das scheint fast zweitrangig. Ein Sehnsuchtsort muß her. Der Traum von etwas.  Das Leiden an ungefähr dieser Sehnsucht schildert Hölderlin mehr oder weniger. Der Heimat sichere Grenzen sind es, die der Ich-Erzähler/Dichter hoch hält, sowie den Familienherd, den Ursprung seines Seins. Die Familie ist allerdings nicht zwingend ein Sehnsuchtsort für jeden von uns. Manch einem wird es schlecht, wenn er/sie an seine/ihre Geschwister und den heimatlichen Herd – darauf: ein Topf ohne Inhalt – auch nur ansatzweise denkt. Denn Familie ist auch ein Hort des Trubels, der einen einen Lebtag lang begleitet.  Heimat und Familie gleichzusetzen wäre deshalb allzu gewagt, wenn nicht sogar ganz falsch.  1800, als Hölderlin sein Gedicht schrieb, ging das noch.  Es waren schwierige Jahre ohne fließend Wasser. Und Herr Hölderlin war durch den Wind. Die Zeiten ändern sich jedoch. Zum Guten.  Zum Schlechten.
Zum Unbekannten hin.

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