Der Sommer hat unbeschwert zu sein. Auf Teufel komm raus. Unbeschwert und durch Vielfarbigkeit bestechend. Er soll uns mit innerer wie äußerer Wärme fürs Jahr versorgen. Die Erinnerung an den Sommer – die Liegematte von Tchibo, das „Ciao“ der Vespafahrer, die Calamari al dente – rettet uns immer knapp über den Winter. Wir hängen am Sommer fest wie eine Klette. Natürlich auch, weil wir eher in einem rauheren Klima zuhause sind, weil wir ständig mehr Wärme als geliefert benötigen. Den an ihn gestellten Anspruch soll der Sommer zwar, kann er aber leider Gottes nicht immer erfüllen. Ist ja auch nur ein Mensch. – Könnte man mir nichts dir nichts behaupten, selbst wenn es von der wahrsten Wahrheit weit entfernt liegt. Denn der Sommer ist nur in Form von Elke Sommer ( geb. 1940 in Berlin, Schauspielerin, Malerin, Tochter; galt als Sexbombe, allerdings nie für mich, da ich nicht zu den Sexbomben-affinen Jahrgängen zähle; Sexbomen-affine Jahrgänge: zwischen 1850 und ca. 1929) ein Mensch. Oder aber in Form von Dr. Sommer. Dr. Sommer von der Zeitschrift „Bravo“, der/die einst – und vielleicht sogar noch heute – die Jugend auf die eher derbe Art aufklärte. Wahlweise jene Frau aus der Kinderbuchreihe „Conny“ von Liane Schneider. Man könnte sich nun ausführlich über die Biederkeit gerade dieser Reihe, die freilich den Sommer nur als Nebenstrang behandelt, auslassen; und dazu in Missbilligung mit dem Fuß fest aufstampfen. Über deren unverschämte Kalkuliertheit etwa könnte man sich bis zum Ende diesesTextes auslassen. Über deren endlose Phantasielosigkeit. Über den Biedermeier in der schlimmsten großdeutschen Ausprägung. Über ein Deutschlandbild, weil die Conny-Reihe ja ein monströser Bestseller ist, das einen üblen Schatten auf dieses von Frau und Herrn Biedermeier zwar öfter als zulässig frequentierte, doch schlußendlich recht komfortable Land wirft. Conny nämlich schert nie aus, sie ist ein konformes Wesen, das das Leben ihrer Eltern nachleben soll und das gern in Gerbsen bei Hannover leben könnte, wo, fällt mir gerade ins Auge, die Autorin wahrhaftig lebt, mehr aber bitte nicht. An Conny läßt sich das in hiesigen Klimazonen angestrebte Wohlstands- sowie Erziehungsideal ablesen; „angestrebt“ als Adjektiv passt gut, denn mit Strebertum hat die Reihe eine Menge zu tun. Conny backt also Pizza mit Salami, reitet, spielt Fußball, lernt schwimmen und tanzt. Wenn sie ins Krankenhaus kommt oder zum Zahnarzt muß, dann passiert es ungezwungen und verspielt und die gewöhnlich angsteinflüssenden Arztbesuche laufen wie am Schnürchen und unbeschädigt geht sowieso alles, aber auch: ALLES aus. Conny hat ein Fahrrad, Eltern, Freundinnen und keine Sorgen. Wenn ihr was daneben geht, nichts von Gewicht natürlich, dann folgt darauf eine Lehre aus dem Baukasten der 08/15-Gesellen, eine Lehre, die unsere Konformconny sofort gehorsam nachvollzieht und einsieht. Probleme mögen angeschnitten werden, werden aber nie auserzählt, nie zur Last, die länger als eine Seite lang währt. Kinder mögen das offenbar. Heile Welt. Die Übersicht. Lösen statt Leiden. Der Baustruktur dieser Welt entspricht das selbstverständlich mitnichten. Weiß jeder von uns, der länger als ein paar Minuten gelebt hat. Conny ist demnach ein Sehnsuchtsort der Realitätsfernen, wo ausschließlich öder Wunschtraum von Wohlfahrtsstaatsinsassen herrscht. Nichts gegen eine Pause von den Realitäten dann und wann. Selbstpeinigung ist wahrscheinlich kein Lebenskonzept. Doch Conny darf niemals nicht kein Wegweiser sein. Gutes verrichtet sie dennoch. Diese Langweilerin vor dem Herrn erinnert uns fortwährend, wie eingefahren unsere Pfade sind, wie verfangen wir in den Mein-Haus-mein-Garten-meine-Tanzschule-Strukturen sind. Dass wir eine astreine, kummerfreie Freizeitkultur darstellen und fast grundsätzlich nicht wissen, sollten wir aus freiem Willen handeln wollen, wohin mit uns. Dass wir dem Angebot der Institutionen nahezu gedankenlos folgen. Dass wir beständig vermeintlichen Autoritäten gehorchen. Dass wir Unternehmen fürs Großwerden bezahlen. Zusätzlich noch: Dass wir unsere Kinder umfassend absichern wollen für jede Eventualität des doch im Wesen unberechenbaren Lebens. D.h.: Umtost von Chaos krallen wir uns an all die selbstentworfenen, beim genaueren Hinschauen zweifelhaften Formgebungen. Conny führt uns das Scheitern eines Systems vor Augen. Sie ist, wie so mancher von uns, kein Individuum sondern ein kaum durchbluteter Handlanger, der ein Programm abspult, das es nur so in einem Gutteil Europas und dem einen oder anderen vereinzelten Land dieser Erde vielleicht noch, nicht aber weitläufiger abzuspulen möglich ist.
Conny mag ihre Lehrerin.
Die Frau Sommer.
Ob die Sommer Conny zurückmag?