Zum WM-Aus sind der Worte viele gewechselt. Zumeist viele unschöne. Unschön, doch dafür oft ungerecht. Wenn man sich beispielsweise im Zeitungskiosk eine Weile aufhält, wo Fußballwetten angenommen werden am besten, erfährt man rasch, was den Deutschen en gros erzürnt. Dass er das Nichtstun, auf dem Feld, doch auch gern daneben, sehr tief verachtet. Dass er dabei sofort ans Geld denkt, für das man ja was tun muß. Dass er das Nichtstun gepaart mit Unordnung noch mehr verachtet. Dass der Deutsche sich wünscht, jedwede Form von Laschheit aus dem menschlichen Genpool – da Theodosius Dobzhansky folgend; welch ein Name; man stelle sich vor, er schösse ein Tor gegen respektive für Deutschland und ein brasilianischer Reporter dürfte seinen Namen übermotiviert ausrufen – eliminiert gehört; zumiendest Pi mal Daumen so. Jeder der Spieler verdiene doch so viel, dass er quasi von der Geldmenge allein bewegungsunfähig gemacht werde, so Daumen mal Pi die Worte des Deutschen von nebenan im Kiosk von nebenan. Geld als einzige Motivation, die einen auf den Beinen & instand hält. Kann, muß aber mitnichten sein. Geld mag die Welt regieren, den Einzelnen muß es nicht zwangsläufig. Für einen halbwegs menschlichen Sportler mit randvollem Genpool sollte es andere Motivationsquellen geben. Ein gut belegtes Butterbrot zum Beispiel. Oder ein Buch mit vielen Bildern, empfohlen vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem er sogar Zitate entnehmen kann, die beim Interview am Spielfeldrand Verwendung finden. (Da fällt mir ein: Relativ tröstlich, das bis ins letzte Detail durchgeplante, obsessiv fitnesskontrolierte, zu Tode videoanalysierte Vorgehen des überbordenden deutschen Trainerstabs scheitern zu sehen. Das deutsche Ingenieurswesen, das hier am Werk war, gelang an eine Grenze, wo möglicherweise nur noch Unbefangenheit weiter hilft, die ohnehin über mehr Bizeps als jeder Ingenieur verfügt.) Ein Zufall respektive Kismet, dass am gleichen respektive selben Tag des deutschen Endspiels, vor dem Endspiel vielmehr, einem ein überaus netter Israeli einen Aufkleber zeigt. Mit einer Art tieferer Wahrheit oder doch nur einem Aphorismus des Vorzeigedeutschen Johann Wolfgang von. – Goethe natürlich. Auf dem Aufkleber steht nicht weniger als das: Vor die Wahl gestellt zwischen Unordnung und Unrecht, entscheidet sich der Deutsche für das Unrecht. Der Israeli wertete die Aussagen des größten aller großen Deutschlandversteher nicht. Er wartete auf eine Stellungnahme von mir. Doch ich, nicht gewohnt, einem Goethe respektive einer jeden Authorität täglich zu widersprechen, stimmte fleißig zu – wobei ich mir circa zeitgleich fest vornahm, über den Wahrheitsgehalt des Zitats in den Folgetagen gründlich, wie es des migrierten/zugereisten Deutschen Pflicht ist, nachzudenken. Das tat ich dann in Bus und Bahn. Auf der Flucht – könnte man leichthin denken, doch in Wirklichkeit lediglich um sich von Johann Wolfgangs Impertinenz für Augenblicke zu entfernen. Letztlich kam ich nirgendwo an. Kann, muß aber mitnichten sein; dachte ich kurz & wiederholt. Womöglich tut Goethe bloß der Unordung unrecht. Fiele einem hingegen ein, nur eine Idee, im Zeitungskiosk auf den Verkaufstresen zu steigen und ein Grundrecht auf ein Grundeinkommen (9,25 Euro die Stunde demnächst) beim Nichtstun einzufordern, dürfte man sich nicht groß wundern, Verletzungen allerersten Grades durch den impertinenten Einsatz von zum Knöppel/Schlagstock eingerollter Boulevardpresse davon zu tragen. Man staunt vorzugsweise am Sonntag nach der Kirche, warum der Deutsche bei Niederlagen so brutal wird. Er ist Niederlagen doch im weit größeren Maßstab als bei der WM gewohnt. Aus WW1 respektive WW2; wie die Englischsprachigkeit die das Weltgeschehen maßgeblich bestimmenden Vorgänge in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunders gelegentlich abkürzt. (Tut mir leid, umständlicher weiß ich es nicht… Um des Designs willen mußten aber diese Abkürzunge sein…) Wenn man nicht weiter weiß, schon gar nicht wie man aus Chaos/Dornengestrüpp unfallfrei herausfindet, ist Goethe freilich ein kommoder Ausweg. Er haut ja dem Deutschen nicht immer mit dem Aphorismusknöppel gegen den Scheitel, nein, oh nein. Er kann auch großväterlich raten; wiederum ein Zitat: Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.
Ein vernünftiges Wort.
Das nehmen wir uns für 2022 fest vor.