Wenn die Not groß ist, wie jetzt gerade, wird jeder Gegenstand um einen zum potentiellen Stofflieferanten. Sogar die als beschränkt längst abgetanene Fliege, die sich im Moment an den Honigresten auf dem Tischblatt versucht. Sie könnte uns in dieser Not von nahen Ländern erzählen, die sie durch ihr Facettenauge zu sich genommen hat, vom Effekt des Rundumblicks also, mit dem die Fliege mehr wahrnimmt als der Mensch – mit dem Wahrgenommen allerdings wohl weniger anzufangen weiß, außer, nicht unwesentlich, ihr Überleben zu sichern. Es ist nämlich so: Es ist kurz nach acht Uhr und im Laufe des Vormittags muß dieser Text raus, dem ein übergeordnetes Thema fehlt. Ein Thema, das die Sicht frei macht, Hoffnung offenbart, dem Tod den Garaus ankündigt. So der Anspruch vorläufig. Die WM wäre ein Themakandidat. 5:0 für den Gastgeber. Es ist immer gut, wenn der Gastgeber, selbst wenn der Russland heißt, gewinnt, weil dann jenes besagte Land ein Stimmungshoch ergreift, das sich den Gästen direkt sowie über TV/Streamingdienst mitteilt. Fröhliche Russen, das tut letztlich auch Unrussen gut. Heute Portugal gegen Spanien, darauf kann man sich vorsichtig freuen. Ägypten gegen Uruguay um 14 Uhr, was für fußballferne Ohren nach einem Scherz klingt, auch das dürfte ein sehenswertes Spiel sein. Iran gegen Marokko? Bei Iran haben wir immerhin inzwischen die Einsicht in die Nuklearstruktur, Regisseure von dort gewinnen dann und wann bei der Berlinale mindestens einen Schokobären, Persien aka Iran ist ein Traumland aus 1000 plus einer Nacht; Marokko aber hat neuerdings die WM 2026 nicht zugesprochen bekommen, Paul Bowles war mal länger da, auch William S. Burroughs, damals, als Drogen unter tadellos blauem Himmel eine 1000 plus eine bessere Wirkung entfalteten, ferner bei diesen westlichen Nordafrikanern: das Atlasgebirge, Gnawa-Musiker; an von der Haut befreite Hammelköpfe auf dem alle Hygienevorschriften tapfer ignorierenden Markt erinnere ich mich, an in Harissa ( هريسة) eingelegte Oliven, die nie wieder so geschmeckt haben wie da, an Eintätowiertes im faltenreichen – nein, nicht Gesicht – Antlitz der Berber-Frauen, an den jungen, polyglotten Spund erinnere ich mich, der mich in völliger Fehleinschätzung zu den Teppichhändlern lotste, mir mitten im Ramadan ( رمضان) Milchreis für teuer auftischte, mich beim Abschied aus Unmut über seine Entlohnung erst anschrie, dann, als auch ich ihn – innerlich lächelnd – angeschrien habe, herzlich abklopfte … Die Welt trifft sich bei Владимир Владимирович Путин jedenfalls unter friedlichen Bedingungen; Erinnerungsschnipsel im Oberstübchen-Rollkoffer reisen mit. (Heute um ca. 7.20 Uhr kommentierte ein anderer Wladimir, Kaminer nämlich, die WM beim BR2; humorvoll, aber nie unsinnig; so: https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowelt/wladimir-kaminer-deutschland-muss-paroli-bieten-100.html .) Natürlich ist es eine – gleich der Stubenfliege ihrer – beschränkte Welt, weil ja eben nur eine Fußballwelt, doch sie trifft sich immerhin im anvisiert fairen Wettbewerb. Das halten wir fest. Oder lassen los. Und wieder nicht. Weil doch der Steven Soderbergh einerseits seine Ocean’s-Serie nun mit 8 fortsetzt, sich also nach Ocean’s 11 & 12 & 13 im Zählmodus erstmals unberechenbarerweise deutlich rückwärts bewegt, und die Hauptrollen zudem mit lauter Frauen besetzt hat, andererseits doch im Serienmodus stecken bleibt. In der Erfolgsspur bleibt Soderbergh offenbar auch. In den USA ist Ocean’s 8 vor kurzem gestartet, freilich nachdem er zuvor massiv beworben wurde, und landete prompt in den Billboard Charts auf der 1 (https://www.billboard.com/articles/news/8460163/weekend-box-office-oceans-8-rihanna-pulling-off-40m-plus-heist). Keine Ahnung wie der neue Film ausfällt, aber die Serie war bislang immerhin kurzweilig und erfrischend über alle Logik erhaben, wenngleich nicht unintelligent gemacht. Bemerkenswert war nicht das Staraufgebot oder das tiefschürfende, detailversessene Drehbuch, sondern die Art und Weise, wie Soderbergh Hollywood sowohl bedient als auch unterwandert. Wie er fast jedwede Rationalität mit Drive und Schnitt bzw. Montage aushebelt, wie er filmgeschichtliche Reminiszenzen wie Split Screen oder grobe Cuts im Stil eines fortgeschrittenen J.-L. Godard einsetzt, wie er Bilder nie nach gängigen Regierichtlinien einfriert oder beschleunigt, Einstellungen kaum Stück für Stück so wie man es an der Filmhochschule lernt abliefert. Die bisherigen drei Oceans’s haben im Endeffekt den Pulsschlag eines widerborstigen Unterhaltungsprodukts, das man so nur selten, nein, nicht zu Antlitz, zu Gesicht kriegt. Soderberghs Vorgehensweise zeigt dabei Hollywood, dass es auch anders geht; dass das Mainstreampublikum was aushält und zum Mitdenken gebracht werden kann. Soderbergh, der vom unabhängigen Kino kommt, wäre sicher ein Thema für den Text heute. So vieles um einen im Prinzip. Wo genauer hinschauen? Hinter dem Fenster Sonne und ein noch sattes Grün. Der Sommer macht sich umfassend breit. Das Baden im See fällt nicht schwer, das Blässhuhn… Halt. Bevor es so lasch weiter geht, mache ich mir einen Kaffee und esse das, was vom gestrigen Croissant übrig geblieben ist. Vielleicht kommt danach der Einfall. Jener, der in die Geschichtsbücher… Nein, der Kaffee unbedingt zuvorderst.
Das war er, der Kaffee. Der schiebt einen an. Heißt es.
Diesmal leider nicht mal gering.
Was tun?
Bewegung; Bewegung hilft oft. Bergab ins Unterdorf täte womöglich gut. Auf den Friedhof; mal gucken, was die Rosenblüte dort macht. (Über die Rosenblüte allüberall in diesem Jahr könnte man sich auch eine Weile ausbreiten; doch der Rosenblüter oder was müßte da schon massiv in einem erwachen…) Ein Teelicht anzünden auch noch.
Getan.
Bewegung tat gut, macht aber müde. Außerdem fehlen fürs Ratatouille die Zucchini. Erneut aufs Fahrrad demnach – auf zum Gemüse.
Minuten vergehen. Wertvolle Minuten. Lebenszeit.
Wieder vorm Bildschirm.
Nirgends ein Einfall.
Was politisch in den vergangenen Tagen geschah, kommentiert man besser nicht, denn es wurde bereits zigfach kommentiert; mit fundamentalerem Wissen im Hintergrund allemal. Die zwei Wirrköpfe, die sich in Südostasien getroffen haben. Der Seehofer, der offenbar die Koalition zu zerlegen nicht scheut. Die deutsche Automobilindustrie, die für Profite lügt. Kommentiert man nicht. Doch, doch. Die Welt ist schlecht. Garantiert so schlecht wie sie nächste Woche sein wird.
Allerdings ist nächste Woche noch WM. Rußland unter Wladimir Wladimirowitsch P. ist ein Grund zur Freude. Wer hätte das gedacht.
(Jemand, den man nicht kennen mag, der schon.)