Der Unterschied zwischen Mensch und Mensch kann bisweilen genauso eklatant ausfallen wie der zwischen Kuchen und Kuchen. Nehmen wir nicht komplett wahllos: Nürnberg. Vergleicht man dort die Confiserie Neef mit der Patisserie Tafelzier, so handeln zwar beide Läden mit Süssigkeiten, das ist richtig, doch darin erschöpft sich schon dieser Vergleich. Während Neef für 4,50 ein Pizzaviertel von durchsahnten Kuchen in einem Kaffeehausambiente – bestenfalls – wie ehedem auffährt, tischt Tefelzier auf poretief reinen, auf Hochglanz gebrachten weißen Flächen einen Kunstgegenstand wie ein Éclair mit Karamelfüllung und in Goldersatz gewendeten salzigen Erdnüssen auf; auch für 4,50, darin gleichen sich beide dann erneut. Praktischerweise sind beide Lokale nahezu Nachbarn; Konkurrenten sind sie mitnichten. Von vornherein klar ist nämlich, dass denkbar unterschiedliche Leute in den jeweiligen Etablissements verkehren. Am Nachbartisch bei Neef bespricht die altgediente, fränkisch unterfütterte Frau Neef mit einem jungen Pärchen eine Torte mit Einhorn on top, die zum Geburtstag der fünfjährigen Tochter hergestellt werden soll, derweil nahezu zeitgleich bei Tafelzier die top frisierten, schwarz gewandten jungen Thekendamen mit der Hand im Handschuh Macaron, Choux, Sablés oder Pâte de fruit im maßgezimmerten Kartongehäuse unterbringen, Süßkunst, von der ein an der anderen Thekenseite postiertes Dämchen – kaum 30 und schon gut miesgelaunt, deshalb mit vollem Recht: Dämchen – in einem durch einen zweifellos namhaften Modemacher bestimmt nicht der Lüftung wegen an Arm wie Schulter zersäbelten, kanarienfarbenen Top eine Ladung verlangt. Der Kaffee sei da wie dort nicht besonders, warnte meine Schwägerin im Vorfeld. Ihre Warung war offenbar Befehl – der Kaffee war im Endeffekt nicht anders als nicht besonders; selbst wenn da der Vollautomat, dort aber ein chromglänzender Siebträger Dienste taten. Weil aber der Mensch so vielfältig ausfällt oder, wahlweise, von einem missmütigen, zu gern Dämchen erschaffenden Gott ausgefällt wurde, gibt es garantiert in der Nähe von Tafelzier und Neef noch eine dritte und sogar eine fünfte Anlaufstelle, wo es nur abgepackten oder auch gar keinen Kuchen gibt sowie einen noch schlimmeren Kaffee oder aber einen ganz und gar ausgezeichneten, den niemand je vergißt, der ihn ein Mal, lediglich ein einziges Mal getrunken hatte; eventuell in einem elenden Schuppen getrunken hatte, der nichts versprach außer Ärger vielleicht gerade noch, aber der Mangel an Zeit ließ nicht zu eine andere Anlaufstelle zu suchen, man mußte einkehren, der Körper braucht ja Kaffee, egal welcher Qualität, das sagt jeder Wissenschaftler, der was auf sich hält, alle noch beisammen hat, die Fünf gerade stehen läßt und den man nur zu gern auf Nürnbergs Strassen anspricht, die im Zentrum, obwohl fernab aller Meere, von Architekur umsäut sind, die eine derlei erhitzte Bouillabaisse der Stile darbietet, dass man nicht so recht weiß, wo vorne und wo hinten ist, geschweige denn links oder recht, der Norden und Neapel, der Dürer und der Leb, dings, kuchen; Ja, Kaffee muß schon sein, sagt der im vorigen, dem langen Satz erwähnte Wissenschaftler, selbstredend kurzatmig, da von Wissen sowie Filterkaffee bis an die imaginäre Hutkrempe voll, Ohne Kaffee kein Leben auf Erden, nur miese Laune und ein Saftsack von Mensch, der nichts zuwege bringt, weil ihm der Antrieb fehlt, d.h. das Schmiermittel fürs Zappeln durchs Leben, das ihm doch der tägliche Kaffee liefert… Ab hier lassen wir den Wissenschaftler unvermittelt stehen, der bis in die Nacht hinein sein Loblied singen darf, wenn ihm danach sein sollte, was soll’s, uns völlig gleich. Wirklich? Ohne Kaffee kein Mensch? Ohne Kaffee kein vollständiger Mensch, das könnte richtiger sein. Der Kaffee bringt Menschen zusammen und macht folglich durch die Gegenwart des Gegenüber einen jeden von uns kompletter und komplexer; verdeutlicht ebenfalls Abhängigkeiten erst recht; für unverbesserliche Optimisten heißt das: zwischenmenschliche Abhängigkeiten; macht mit ÉGALITÉ ernst, macht alle gleich im Robustarhythmus zappeln. Der Mokka und die Kippe waren einst, noch vor Dürer, sehr knapp vor dem Dürer Albrecht, ein unzertrennliches Paar, sofern die Auskunft nicht täuscht, die ein da und dort leicht eingesauter Taugenichts, der sich, des Taugenichts‘ Wege sind unergründlich, mir nichts dir nichts geübt vor den Wissenschaftler schob, sehr überzeugend in der Bouillabaisse zu Nürnberg den Unstehenden erteil hat. Im Folgenden eine Kippe aufhob, sie anzuzünden aber nicht vermochte, da sie nur noch aus Filter bestand und, ach ja, weil er kein Zündholz bei sich hatte, deswegen auch. Ein Paar. Lang ist es her, dass Jim Jarmusch, mit Taugenichtsen flüchtig verwandt, Filme machte, die Menschen zusammen und ins Gespräch brachten, die einen länger als eine Stunde und dreißig Minuten beschäftigten. Permanent Vacation. Stranger than Paradise. Down by Law. Night on Earth. Und eben den Episodenfilm Coffee and Cigarettes. Wo in Schwarzweiß und paarweise an Tischen in Etablissements gesessen wird und geraucht, getrunken und geredet. Éclairs, die Droge Nr. 1 im Pariser 16. Arrondissement, pfeift man sich eher nicht ein, das scheint sicher, selbst wenn die Erinnerung Löcher bzw. Säbelschlitze trägt. Nürnberg aber. Muß man haben? Wir sind unschlüssig. Einerseits: nein. Andererseits: auch wieder wahr. Für und gegen spricht an sich gar nichts. Auf den ersten und einzigen Blick zumindest nicht. Wie den Menschen, muß man Nürnberg mal näher gesehen haben. Oder nicht. Oder beides.
Lieber Adam O.,
Kaffee in Nüremberg? Da fällt mir spontan eine verjährte Schweizer Posse ein, die auch gut dahin gepasst hätte. Kann man tatsächlich noch nachlesen, wenn man „Hitler zum Kaffee“ in eine Suchmaschine eingibt.
Dazu ein Meistersingervorspiel oder Les Préludes. Das wäre eine schöne braune Soße…
auf die man freilich gut verzichten kann.
Auch zum Kaffee gilt also, was eigentlich immer gilt: es gibt nichts, was es nicht gibt.
Prost Kaffee!
Dein Hirte Kaldi (auch mal suchen! Passt zum Thema…)