Cecil Taylor ist tot
Hier ein Link zu dem Nachruf von Ben Ratliff in der New York Times.
https://www.nytimes.com/2018/04/06/obituaries/cecil-taylor-dead.html
Die Washington Post schreibt dies: https://www.washingtonpost.com/local/obituaries/cecil-taylor-pianist-who-was-the-eternal-outer-curve-of-the-avant-garde-dies-at-89/2018/04/06/f2599246-39a8-11e8-8fd2-49fe3c675a89_story.html?utm_term=.bd0454d9ebd5
Die Village Voice schrieb dies: https ://www.villagevoice.com/2012/05/09/saluting-pianist-cecil-taylor/
Nate Chinen sagt:https://www.npr.org/sections/therecord/2018/04/06/600189706/jazz-freed-on-cecil-taylors-expansive-brilliance
Bitte Cecil Taylors Musik hören.
Schau Euch das Video vom Münchner Klaviersommer 1984 an; an dieser Stelle zum Beispiel: http://www.deutschlandfunkkultur.de/avantgarde-pianist-cecil-taylor-gestorben-ein-absoluter.2177.de.html?dram:article_id=414977
Alles ist in seiner Musik drin. Mehr geht fast nicht.
Er möge in Frieden ruhen.
Postskriptum
Mit Cecil Taylor habe ich im Sommer 2011 einen Tag verbracht. Nachdem er eine Konzertreihe im Downtown-Club Le Poisson Rouge, zu der ich angereist bin, kurzfristig abgesagt hat. Ich wollte ihn zur Rede stellen. Nein, das ist zu hoch gegriffen. Ich wollte wissen, ob es ihm gut geht; und lauert ihm, nun, auf.
Er war zweifellos eigen, das war sofort klar, aber nicht ungut eigen. Jedenfalls mir gegenüber nicht. Redselig; auf den ersten Blick leicht ungeordnet, auf den zweiten schien sein Improvisationstalent, das Auffächern menschlicher Gegebenheiten innerhalb eines Stücks, vehement durch. Die Wucht wie deren Rückzug in einem Atemzug fast.
Unvergessen: Er: eine Plastiktüte in der Hand, voll mit den undurchschaubaren Gedichten; vor seinem Haus in Fort Greene/Brooklyn war das; offenbar nach einer Nacht an seinem Yamaha-Flügel, vielmehr an dessen vor Spielwucht abgeschabter Tastatur. Großflächiges, scheinbar im Windkanal entworfenes Brillengestell; pastellfarbenes Hemd; elegante Sneaker; die die Hosenbeine einer Bluejeans einmal zweifingerbreit umgeschlagen. Irrational, aber für einen Jünger doch sehr nachvollziehbar– ab Sommer 2011 trage ich die Jeans gern eben so. Die Taxifahrt über den East River zuerst, er erklärte dabei die Architektur, die ihn, nur unter vielem, zeitlebens beschäftigte. In Greenwich Village auf der Suche nach einem Lokal fürs Abendessen dann, dabei war es 10 Uhr vormittags. Aber die Zeit: für einen Taylor ein vager Begriff, dehnbar nach allen Seiten; nach einer Nacht am Flügel sowieso. Unvergessen: Die geteilte Lektüre der New York Times in einem Deli, er mit dem Sportteil; da gab er einen Shake und ein belegtes Bagel aus. Sein Einkauf am Stand eines fliehenden Obsthändlers noch; die Grapefruit teilte er daheim erst, bevor er die Hälften viertelte. So bot er sie einem an: Nicht nur in Afrika ißt man sie so, auch hier unter Afroamerikanern. Endlich; er spielte am Yamaha, die wilden, nur durch ihn entzifferbaren Notate vor sich, ein Solo, das anstieg und fiel, fiel und abhob; zuvor, die Notenwildnis eingehend betrachtend, kicherte er, amüsiert von eigenen Einfällen. Die Wohnung: eine Rumpelkammer, improvisiert und heimelig-plüschig zugleich; eine Art Altar für den langjährigen Weggefährten Jimmy Lyons, die Hifi-Anlage angestaubt, vermutlich seit Jahren nicht mehr in Betrieb. Wozu auch? Er machte doch Musik, die ihm liebste Musik, selber.
Seine innere Spannung, die garantiert aus seiner spannungsgeladenen Biografie resultierte, entlud sich vorwiegend in der masslosen Musik. Jener mit weit verzweigten Strukturen; undurchschaubar, unerklärbar im Endeffekt, sowohl von Wissenschaft wie Mitmensch, ganz wie es sich für einen gravierenden Musiker ohne Vorbehalte gehört. Unvergessen: Die Umarmung an der Tür. Ein zarter, allzeit geladener Mann, der was wußte.
Mir hat er beigebracht, auf allzu geschlossene Systeme zu pfeiffen. Es offen zu halten. Es dicht zu halten. Wagemütig zu sein. Keine Kompromisse. Sich treu bleiben. Das Wesen offenbaren. Taylors Lebenslauf machte Mut. U.a. weil er besagte, dass sich Substanz doch durchsetzen kann. Auch wenn es Jahre oder Jahrzehnte dauern mag. Es braucht Zeit, doch Substanz setzt sich letztlich durch. Ein Trost zweifelsohne.
Er war die Vorhut.
Wir folgen.