Substanz muss her. Zu viel heiße Luft um uns. Zu viele Leute drumrum, die laufend erzählen, aber nichts von Dauer sagen. Wir brauchen aber am Karfreitag dringend den Trost von, eben: Substanz. Also: Keine Zeit verlieren, das Leben wird kürzer, wir brauchen sie jetzt und hier. Es gilt nämlich die wichtigen Fragen zu klären, das letztgültige Wiesoweshalbwarum dingfest zu machen. Kein Ort scheint geeigneter dafür als das Kaffeehaus. Weil: Der Kaffee, allemal so mittelprächtiger wie er in den Kaffeehäusern serviert wird, holt das Best of der Aggressionen aus dem gemeinen Menschen heraus, stellt ihn bloß und somit in voller Gestalt auf. Diese Ausage ungefähr trafen vor kurzem nordkoreanische Wissenschaftler aus der Provinz, das Nomen kein Omen?, Cha Bum-kun – in der südwestlichen Mongolei, wo sich die Steppe unmerklich weitet, exakt dort, bedeutet Cha Bum-kun, allerdings mit einem Apostroph mitten im kun: Brühe ohne Wert – in einer international vielbeachteten Studie; die Koreaner selbst: selbstverständlich keine Kaffeetrinker, sonst hätten sie ja keinen unverfälschten Blick auf ihr Untersuchungsobjekt. Kaffee, wenn auch eindeutig mit aggressiver Haltung unterlegt, verschaffe Durchsicht, Klarheit der Sinne, erläutere mitunter gar den Grund unserer Existenz, so die Wissenschaftler; der Haken: nur in circa den ersten zwanzig Sekunden nach der Einnahme. Die untersuchten Personen, 3600 an der Zahl und vorwiegend Deutsche sowie Österreicher, zeigten eine starke Konfrontation der Gehirnströme, die bislang nicht für möglich gehalten worden war, und zwar zwischen Hirnregionen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben. Die Hälfte dieser Personen sprach anschließend von der Materialisierung einer Figur unbestimmten Geschlechts, jedoch todsicher langbärtig, die ihnen in hohler Hand ein schwarzes, noch dampfendes Getränk darreichte … Praktisch, dass Kaffeehäuser fast zwangsläufig Kaffee im Angebot haben; eine der Voraussetzungen für den Durchblick wäre also gesichert. Es ist aber nicht die einzige (Voraussetzung). Wenn aber schon ein Kaffeehaus, dann eines in Wien. Oder, die einzige Alternative: das Bazar in Salzburg. Nach der Grundsanierung vor einigen Jahren nicht mehr so abgeschabt und lebensecht wie zuvor, doch immer noch mit genug Vitalität versehen. Und mit genug Menschendurchlauf, der Laden brummt wortwörtlich, um das menschliche Wesen tiefgreifend zu studieren. Es laufen im Bazar allerlei Typen ein, von Tourist bis Dame mit Pudel bis Papa mit Kleinkind an der Leine. Man kann ihnen allen beim Einnehmen von Omlette, Toast à la maison oder mehrschichtigem Tortenstück ungestraft zusehen und endlich erfahren, was der Mensch ist, wenn er denn schon isst. Ein ungelenker Zeitgenosse zumeist, um es vorweg zu nehmen. Jemand, der sich bekleckert und es nicht merkt. Ferner ein Jemand, der offenbar gern Zeit vergeudet, indem er vor sich hinstarrt, ohne was zu sehen. Oder mit Hilfe einer der ausgelegten Zeitungen Nachrichten einnimmt, die morgen nicht mehr zählen. Im Kaffehaus sein und schön ist, Kaffee plus Mensch, bar allen weiteren Zwecks. So ging ein Thomas Bernhard vor, der seinen Grant & Menschenkenntnis im Bazar perfektionierte. Von Thomas Bernhard lernen, das ist, leben lernen – könnte man an dieser bestimmten Stelle einigermaßen pointiert behaupten, wenn es nicht kompletter Unsinn wäre. Wir wollen Bernhard nicht kopieren; selbst er, zweifellos eine feine Marke, wusste nicht im Ansatz alles. Aber in so einem sorgfältig holzgetäfelten Saal mit Sicht auf die Salzach (Hausfluss) und die patenten Bediendamen, die aufgefächerte Menschheit vor einem, die Luft dicht, der Lärm nicht minder, die dritte Melange oder den Einspänner (verlängerter Espresso mit Obershaube) vor sich, Stunde um Stunde vergeht, der fahle Tageshimmel macht dem fahlen Nachthimmel Platz, da löst sich die Frage nach dem Daseinszweck peu à peu auf. Da möchte man irgendwann nix mehr. Sein; und das Sein sein lassen höchstens noch.