Man macht sich im Vorfeld der Tagung zu Ingmar Bergman – Evangelische Akademie Tutzing, vom 2. bs 4. 2. – so seine Sorgen. Wird Bergman mit seinen 100 Jahren der kritischen Sicht von heute aus auf ihn und sein Werk standhalten? Geht seine Kargheit im Überfluß der Film- und Lebens-Mittel (sic!) zumindest in Mitteleuropa der Gegenwart nicht unter? Sind seine Themen, ist seine Bildsprache nicht unheimlich gealtert? Fast im gleichen Augenblick denkt man aber: Nein, ruhig Blut. Alles ist gut. In bester Ordnung sogar. Der Mann und die Frau zerfleischen sich noch immer, sobald sie sich näher treten. Das Gesicht, das Bergmans Kamera, die vorzugsweise Sven Nykvist führt, beständig – bis in die Pentranz hinein – liest, ist immer noch die spannendeste aller Landschaften. Die langen Einstellungen sind in Zeiten des schnellen Schnitts nach wie vor eine mittlere Provokation. Bergmans Witz, kommt er denn mal vor, beißt immer noch. Konklusion: Der alte Schwede wirkt noch. Er fordert heraus. Man muss ihn und seine klare evangelisch-lutherische Linie aushalten können, was man heutzutage nicht so gerne tut, wo doch Bequemlichkeit/Leichtverdaulichkeit/Unbestimmtheit allüberall regiert. Es ist doch seit Jahren so, nur ein Beispiel, dass sich Teenager nicht mal für ein Treffen mit Freunden und schon gar nicht mit der Familie längerfristig festlegen mögen. Sie halten sich bis zuletzt bedeckt und vage; vielleicht – so die Mutmaßung – um sich den Schmerz einer kurzfristigen Absage seitens besagter Freunde bei einer Zusage ihrerseits, die an eine tagelange Vorfreude gekoppelt sein mag, zu ersparen…. Während Bergman kein Pardon kennt, keine Wahl lässt, den Schmerz geradezu sucht, indem er permanent sagt: Nimm das. Und das. Und hier hast du noch dies. Bricht es dir das Genick? Egal. Das sind die Fakten. Vielmehr ist nicht. Stell dich. Es gibt kein Entkommen. Und wenn du wegläuft oder auch nur diesen meinen Film vorzeitig ausschaltest, dann bist du feige und mit Schuld beladen auf ewig. Es gibt bei Bergman wenig Licht, außer dem der Erkenntnis vielleicht, das ist die Kehrseite seines konsequenten Gangs. Alles wiegt schwer. Leute, die ohnehin das Leben suspekt beäugen, dürfen sich nach einer Stunde und 43 Minuten „Skammen“ eine Grube ausheben. (Wie Liv Ullmann und Max von Sydow sich im Dreck des Kartoffelackers bearbeiten, das ist in Wort wie Bild nicht viel mehr als hartes schwedisches Brot. Dass Bergman sich und uns ein wenig später eine längere Einstellung von von Sydows bestrumpftem Fuß auf einer Holztreppe leistet, ist hingegen ein Wagnis und eine Sensation gleichermaßen. Bergman kann ein Witzbold sein: von Sydow weint auf der Treppe, wir hören es, sehen aber den schwedischen Wollstrumpf nur….) Der Rest, die cineastische Elite möglicherweise, bleibt dran, kaut jedes Bild und jeden Satz bis zum bitteren Ende mit. Weil er – der Rest; die Elite – sich wiedererkennt? Weil er masochistisch veranlangt ist? Weil Bergman einen Einblick in die Tiefenstruktur des Lebens gewährt? Weil er am Grundsätzlichen und Gottgegebenen rührt? Alles 4? Denkbar. Wahrscheinlich. Womöglich. Wir werden es, das hämmert die Ratio – des 100jährigen Schraubendreher Nr. 1 – ein, spätestens Anfang Februar endgültig und für alle Zeit erfahren.
OK, „Schande“ ist nun mal Schwerstkost, sogar im Gesamt-Bergman-Kontext und geht echt an die Masochismusgrenze heran… Aber Bilder der Flüchtlinge, wie auch in „Eine Passion“ sind von brutaler Aktualität. Und da hieß es doch: Bergman sei unpolitisch!