Man macht sich im Vorfeld der Tagung zu Ingmar Bergman – Evangelische Akademie Tutzing, vom 2. bs 4. 2. – so seine Sorgen. Wird Bergman mit seinen 100 Jahren der kritischen Sicht von heute aus auf ihn und sein Werk standhalten? Geht seine Kargheit im Überfluß der Film- und Lebens-Mittel (sic!) zumindest in Mitteleuropa der Gegenwart nicht unter? Sind seine Themen, ist seine Bildsprache nicht unheimlich gealtert? Fast im gleichen Augenblick denkt man aber: Nein, ruhig Blut. Alles ist gut. In bester Ordnung sogar. Der Mann und die Frau zerfleischen sich noch immer, sobald sie sich näher treten. Das Gesicht, das Bergmans Kamera, die vorzugsweise Sven Nykvist führt, beständig – bis in die Pentranz hinein – liest, ist immer noch die spannendeste aller Landschaften. Die langen Einstellungen sind in Zeiten des schnellen Schnitts nach wie vor eine mittlere Provokation. Bergmans Witz, kommt er denn mal vor, beißt immer noch. Konklusion: Der alte Schwede wirkt noch. Er fordert heraus. Man muss ihn und seine klare evangelisch-lutherische Linie aushalten können, was man heutzutage nicht so gerne tut, wo doch Bequemlichkeit/Leichtverdaulichkeit/Unbestimmtheit allüberall regiert. Es ist doch seit Jahren so, nur ein Beispiel, dass sich Teenager nicht mal für ein Treffen mit Freunden und schon gar nicht mit der Familie längerfristig festlegen mögen. Sie halten sich bis zuletzt bedeckt und vage; vielleicht – so die Mutmaßung – um sich den Schmerz einer kurzfristigen Absage seitens besagter Freunde bei einer Zusage ihrerseits, die an eine tagelange Vorfreude „Der alte Schwede Nr.1“ weiterlesen
Bergman: 100
2018: der hundertste Geburtstag von Ingmar Bergman. Da wird auf allen Kanälen im Laufe des Jahres profund tiefen- sowie mit Sicherheit auch flachpsychologisch gefeiert werden. Mit den Anfang macht vom 2. bis zum 4. Februar eine Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing, die sich etwas uncatchy, dafür bildungsnahe „Das Theater als Ehefrau, der Film als Geliebte“ nennt und von Judith Stumptner und Angelika Mrozek-Abraham konzipiert wurde. Diese Veranstaltung erwähne ich nicht ohne Eigennutz: Man hat mich nach Tutzing am Starnberger See eingeladen, ich soll teinehmen und zuhören und zuschauen und hernach auf der Homepage der Akademie einen Blog hinlegen; nach Vorträgen von beispielsweise Katarina Yngborn oder Stephan Michael Schröder, Filmvorführungen, Gesprächen in den Salons den Bergman endgültig und für alle Zeiten knacken. Das jedenfalls mein Anspruch. Es sind noch zwei Wochen bis dahin, die Ungeduld zerreißt mich schier, der Wagemut steigt gerade kolossal, so dass ich es jetzt schon angehen will. In ungeordneten Stichpunkten vorerst. Ingmar Bergman: der alte, nun, Schwede. Schweden = Skandinavien. D.h.: Mit viel Ratio und emotionaler Hemmladung und Luther und vermutlich einem Knäckebrot ohne Butter im Gepäck in die Welt der Movies, die Sodom = Hollywood bestimmt. Ein Theaterregisseur, das war Bergman in erster Linie. All seine wichtigen Filme sind ja Kammerspiele. Er ist folgerichtig extrem von guten Schauspielern abhängig. Die hatte er dann auch etwa mit den Blondinen Liv Ullmann (rotblond) und Ingrid Thulin (blond genug) sowie Max von Sydow (schmutzig blond = ganzer Mann). Bergman „Bergman: 100“ weiterlesen
Das Recht der Toten
Die Welt ist ungerecht. Ein Gemeinplatz zwar, doch gemein ist als Einstieg immer brauchbar. Ungerecht also. Die Besseren von uns, die Idealisten und Feuerhüter, mühen sich unverzagt um Gerechtigkeit; ein heldenhaftes Verhalten, das selten belohnt wird. Nein, das soll jetzt hier keine Ethikvorlesung werden. Wir sehen nur beständig Leute kommen und gehen, die diese Welt angeblich bewegen, die sich Erfolg gepachtet zu haben scheinen, aber inwendig, vor allem als menschliche Kreaturen, bloß äußerst hohle Pfeifen sind. Mehr oder minder auf Kosten der Mitmenschen leben. Offensichtlichkeiten im Radio und Fernsehen oder online oder Druckbuchstabe von sich geben. Die grundsätzlich nichts von Gewicht zu erzählen haben. Auch so gar nichts, das einen wirklich unterhält. Ihre vermeintlich hübsche Visage ohne einen Funken teilnehmende Regung – dafür mit unverschämter Chuzpe, die Gott weiß woher kommt, sicher nicht aus dem Wissen um die Beschaffenheit der Dinge heraus – in die TV–Kamera halten und gut Kasse damit machen. Es passiert schon mal, dass einer, der was kann, der vielleicht auch nur sein unmittelbares Umfeld bereichert, eine Art Sinn für die Dinge großzügig und uneigennütig der Allgemeinheit mitteilt, nach oben gespült wird, den wohlverdienten Ruhm im kleinen Rahmen einfährt. Weit öfter aber fällt kein Glanz auf Grossartigkeiten. Auf grossartige Musiker etwa, die kürzlich gestorben sind. Auf einen wie Sunny Murray, den Schlagzeuger, der den Bop auswendig gelernt hat und den es doch schnell in „Das Recht der Toten“ weiterlesen
Kurt E. träumt
Es dürfte okay sein, dann und wann daran zu erinnern, was alles möglich ist. In einem derlei saturierten Land wie Deutschland sowieso, einem Land, das nichts entbehren muß. Auch an Deutschland als ein Land zu erinnern, das von der preußischen Disziplinorder abweichen kann, wenn es denn mal mag; das nicht beständig die Made in Germany-Präzionsmaschine, der gut geölte Blitz sein muß, vielmehr gelegentlich gänzlich anders kann als erwartet. Vor allem aber daran zu erinnern, wozu der Mensch fähig ist, wenn er zur Hochform aufläuft. Was dann – im positiven Sinne – Weltbewegendes machbar ist. (Was denkbar ist, das ist auch machbar, dies als Faustregel von hier aus.) In all der politischen Resignation um uns rum – die da oben, wir da unten, die bescheißen uns doch ständig, gegen die kannst du ohnehin nichts ausrichten, Geld regiert die Welt, Haribo macht Kinder etc. – ist es nicht schlecht sich darauf zu besinnen, auch um das Leben wieder wertzuschätzen und die Hoffnungsfahne in dessen Mitte hochzuhalten, welch einen Einfluß ein Einzelner auf das Staatsgeschehen nehmen kann. Und weil der 200ste Geburtstag des Karl Marx aus Trier in diesem noch unverbrauchtem Jahr gefeiert gehört und das Gefälle zwischen Arbeiterklasse sowie Bourgeoisie sowie der obersten Kaste eher zunimmt, könnte dieser besagte Einzelne für diesmal, obwohl gar kein strikter Marxist, Kurt Eisner heißen. Ein Kaufmannssohn jüdischer Prägung aus Berlin. Nicht unbedingt für den Kampf um die Belange des Proletariats von vorn herein prädestiniert. Ein Journalist in „Kurt E. träumt“ weiterlesen