Jetzt mal zur Abwechselung eine Frage von Gewicht: Wer ist denn hier ein Freund von Reality-TV? Aha. Etwa, weil man dort das faktische Leben beobachten kann? Das könnte eher falsch sein. Fakt ist bestimmt, dass bei dieser Art von TV keine Schauspieler am Werk sind, sondern Menschen von der Strasse als Selbstdarsteller – die vermutlich die Kamera, die sie begleitet, nie vergessen. Es sind auch Orte da, die tatsächlich existieren und nicht Kulissen & Bauten. Insofern real. Was aber beim Dreh zum Teil zu passieren hat, wie das Material später bearbeitet wird, ist wiederum höchst sugges- und subjektiv und folgt einem Storyboard. Weil ja Reality-TV gesehen werden will und sich folglich, als Abbild aktueller gesellschaftlicher Vorlieben, um Spannung und Dynamik bemühen, d.h. den Sehgewohnheit der Zielgruppe folgen muß, die Quote stets im Blickfeld. Nun eine andere Frage, die in die gleiche Kerbe dreschen mag: Hat jemand die Werbung der Bundeswehr für Mali gesehen? Auf den Bildschirmen am Hauptbahnhof vielleicht? Sieht aus wie die Werbung für Call of Duty. Oder den neuen Actionblockbuster mit Vin Diesel. Oder eine durchkalkulierte Fernsehserie für testoterondurchtränkte Jungspunde bei Netflix. Ist aber nur eine Serie der Bundeswehr, die von Mali handelt und auf YouTube in 40 Folgen frei zugänglich bis in den Dezember hinein läuft. Um die Verdaulichkeit bei der heutigen Jugend deutlich bemüht, wird in kleinen Häppchen von acht Minuten je Folge serviert. Diese Serie handelt von echten Bundeswehrsoldaten, die in den Auslandseinsatz nach Mali versetzt werden. Sie beginnt mit dem Abschied vom Zuhause, also der BRD, und führt ins Lager in die Wüste zu Mali. Es gibt eine Handvoll Selbstdarsteller, deren Namen und Rang besonders oft eingeblendet werden. Flotte Bilder, mal breit angelegt, mal nahe dran, die einzelnen Figuren, auch eine Frau darunter, von unten und oben und seitlich aufgenommen; ferner: bewegliche Kamera, in Spannungsmomenten, hübsch der Gebrauchsanweisung für Regieanfänger folgend, wackelig; schneller Schnitt, verhältnismäßig hippe Beats darunter. Man hat von Hollywood wie von der Werbung gleichermassen gelernt, so dass ein Produkt herauskommt, das an einen Kunden verkauft gehört, eine Fake-Doku, die auf Entertainment aus ist. Diese 5,6 Millionen Euro teure Vorgehensweise der Vaterlandsbeschützer verfolgt allerdings ein klares Ziel. Das Ziel heißt: junge Leute für die Bundeswehr anzuwerben. Man soll nach von zig Fastfood-Häppchen aufgebläht die besten Jahre seines Lebens hergeben; sich verpflichten, noch vor Weihnachten, dem Fest für Liebhaber der Liebhaberei. Wofür verpflichten? Offenbar für die Mitgliedschaft bei einem Entertainment-Verein. Was der Bund da mit Mali vorführt, ist nämlich mehr ein schmissiges Abenteuer denn das facettenreiche, das nackte, wahre, verwirrende, tolle, behämmerte Leben. Doch nicht umsonst heißt es „Reality-TV“ und nicht bloß „Reality“. Die Reality mag so oder so ausfallen, der Mensch vor einer Kamera aber hat mit ihr selten was am Hut. Vor der Kamera wird der Mensch grundsätzlich anders. Er liefert ein Bild von sich, äußerst selten aber sich selbst. Er weiß um seine Breitenwirkung, wenn nicht in jedem Augenblick, so doch unterschwellig immer. Um ihn herum fleuchen ja auch noch ein Kameramann, ein Beleuchter, ein Tonmensch eventuell. Lauter fremde Leute – warum sich vor denen öffnen, wenn man nicht auf der Schauspielschule war und das Werkzeug zum Vortäuschen von Öffnungen nie bei sich hat? Das ist die eine Hürde. Hinzu kommt, dass es die Ödnis des Alltags in acht Minuten wiederzugeben kaum einem Filmemacher bislang überzeugend gelungen ist. Im Häppchenformat ist allenfalls Energie enthalten, sonst aber für gewöhnlich nur heiße Luft. Es wird hier also ein Alltag suggeriert, der in diesem Filmformat niemals auch nur in wenigen Facetten erfaßt werden kann. Schon gar nicht innerhalb eines Werbefilms der Bundeswehralltag, der, die Erfahrung aus erster Hand bringt es bei, von Order und der an sie zwangsläufig gekoppelter Dämlichkeit bestimmt wird. Andererseits. Dummes Gerede gibt es in der Mali-Serie am laufenden Band, da hat der Schnittmensch möglicherweise unsauber gearbeitet. Hauptfeldwebel Daniel, von gerade durchgeführten Liegestützen bzw. Klimmzügen gestählt, sagt: „Ich bin ein Technikfreak. Ich wollte schon immer mit Waffen zu tun haben.“ Hauptmann Michael, mit einer windschnittigen, enganliegenden Sonnenbrille bewaffnet, sagt hingegen beim Blick in die Wüstenlandschaft: „Es ist faszinierend, wie Menschen in so einer Umgebung überleben können.“ Was so alles heutzutage faszinierend ist. Faszinierend auf alle Fälle, was man so sagen darf, wenn der Tag lang genug ist. In die Kamera hinein sagen.
Geigneter wäre ein handelsüblicher Müllbeutel.