Arto

Kommt Arto von Art? Das muß man nicht unbedingt  beantworten. Aber wenn man es denn versuchen wollte, wenn, dann vielleicht so: Arto Lindsay wirkt an diesem Abend im Nachtklub des Bayerischen Hofs wie eine Kunstfigur – und wiederum ganz real. In seiner Jeans und dem fadem Hemd, das über ihr hängt, ist er vom Stardasein scheinbar galaxienweit entfernt. Doch in seinem Gebaren ist er abgrundtief eigen und grundsätzlich nicht von dieser Welt. Er ist Arto mit seiner persönlichen Art, und er hat seinen Weg gefunden. Und es ist ihm ganz gleich , wer diesen Weg mit ihm zurücklegt und wer nicht; ihm geht es unterwegs offenbar sehr gut, denn er lächelt an diesem Abend viel. Und der Weg, wo führt er denn  bitteschön hin? In etwa von hier nach da. Von Lindseys  Vergangenheit, der  Jugend in Brasilien, bis in die  Zeit ab Mitte der 1970er Jahre in der eher herb/hart/heftig agierenden Downtown-Szene Manhattans. Für Kontraste also Stoff genug. Tropical-Geschmeidigkeiten kollidert da mit urbanen Eruptionen. Das sieht dann  in etwa so aus: Mit einer brüchigen, zurückgelehnten Non-Singstimme erzählt Lindsay – zu ca. 50 Prozent auf Brasilianisch – Geschichten, die ein Brasilienferner nicht zu enträtseln vermag,  greift allerdings zwischendurch in die Saiten seiner leicht verrotteten, kurzgriffigen, zwölfseitigen Elektrogitarre; wobei er nie Akkorde anschlägt, einer Melodie folgt, Harmonien herstellt, sondern einen mit lockerer Hand kräftig gepeitschten  Geräuschknäuel aller Saiten erzeugt, der dem Puls, den ein Percussionist sowie ein Schlagzeuger zumeist unisono straffen Lauf lassen, kurz und doch massiv ins Wanken und somit in Zweifel bringt. Grrrrrrrrh! Grrrrrrh! Grhhhr! GR! Es ist ein Weg zwischen Wohltat – zumal da noch die Keyboards  einheimelnde 1980er-Sounds beisteuern  –  und einem ordentlichen Überfall, der einem flott eine  wesentliche Frage zuschanzt: Wieviel Wohltat braucht der Mensch, bevor ihm die Füsse einschlafen? Wieviel auch immer. Dass einem die  Erdhaftung nicht abhanden kommt, dafür sorgt jedenfalls Melvin Gibbs am Elektrobass. Einer von jenen, die in sich ruht,  keine virtuosen Kunststücken produzieren muß, vielmehr bedächtig ein  Fundament fürs Ausleben von Lindsays inneren Spannungen installiert. Dieses Fundament bricht niemals in diesem Leben ein, das weiß jeder im Raum. Das macht schon mal diese Welt sicherer. Alles gut also? Arto Lindsay, mittlerweile 64, doch immer noch ein schmaler Mann, zieht wieder mal seine Hose hoch. So ein Zufall. Auch meine Hose fällt mir vom A.  Ich habe den Gürtel daheim vergessen. Und der Zug geht in 15 Minuten. Ich muß los.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*