Folge 6

Das Persönchen streckte den Arm aus, an dessen Ende: eine dem Gelenk organisch entkommende Hand mit überlangen Fingern und scharfen Fingernägeln.  Ich ergriff die Hand ohne zu zögern, auch ohne sie groß zu schütteln allerdings; sie kam mir, das erstaunte mich bloß kurz, durchgehend schwielig vor.  Das Persönchen sagte, während die Hand zu Malinowski wanderte und es diesmal ihn bar jedweden Zweifels anblickte: Monique.  Nun war es kein Persönchen mehr, sondern eine Frau mit einem doofen Namen.  Wir waren ja schließlich in Alpengegenden, Resi wäre mir weit lieber. Die Übergabe haben wir uns beide anders vorgestellt. Die Ware nicht so spektaulär zum Beispiel. Trotz all unserem Kühles-Blut-um-jeden-Preis-Trainings war uns jedenfalls das Staunen über die Gegebenheiten garantiert leicht abzulesen. Malinowski ganz bestimmt. Seine Augäpfel kugelten förmlich, Pupillen weit wie diese sowie jede fernere Welt, von Monique zu mir, von mir zu Monique, rastlos, wie über Gebühr aufgezogen. Monique blickte uns derweil an mit einem Anflug von Lächeln, durchgehend und standhaft. Sie las uns wie ein Groschenheft: Nach ungefähr zwei Minuten Lesezeit wußte sie, wohin es inhaltlich ging, auf welcher Seite das bisschen Substanz war und wo keine. Sie hatte uns also komplett abgesteckt noch bevor wir ein Wort wechselten. Ihren Parker, dessen Taschen: prall gefüllt, schloß sie, was für die Qualität des Reißverschlusses sprach, mit einem durchgehenden Zipp! auf. Anschließend wies sie uns an, sich am Felsgeröll daneben zu hocken – alleine dadurch, dass sie sich selbst hinhockte. Wir waren so gut erzogen, dass wir folgten; zumindest gegenüber Frauen mit blonden Mähnen gut erzogen. Sie kannte unsere Namen, deshalb nannten wir sie nicht mal im Gegenzug. Sie nickte zwei, drei, vier Mal, was man mit viel gutem Willen als ein Zeichen der Verlegenheit deuten konnte, bevor sie, wieder frontal und fest guckend, nach der Lage fragte. – Wie sieht es aus? Ich hatte zu antworten, denn Malinowski war nicht einsatzbereit; sein Körper, allemal in seiner gegenwärtigen Starrheit, glich einem grob verarbeiteten Brett; sein Blick verlor zwar die Rastlosigeit von zuvor, doch bohrte er sich stumpf ins Landschaftspanorama, das wir inzwischen auswendig kannten, dessen Begutachtung demnach gänzlich obsolet war. Obsolet, ein Fremdwort, ich weiß. – Gut.  So fiel meine Antwort im Endeffekt aus. Ich war halbwegs wieder ich; sie war zweifelsohne schön, anmutig sogar, eine Prinzessin vom Himmel hoch, aber die Gefahr letztendlich zu offensichtlich. Ein trockenes Gut sollte in diesem Zusammenhang reichen. Denn sie hatte zu kommen, nicht wir.  Sie war uns eine Erklärung schuldig. Wir sollten bitteschön zuallererst erfahren, was dieses Schauspiel sollte, wozu gerade dieser Art der Übergabe. Traute man uns nicht?  Unsere Welt, in der wir uns soeben eingerichtet hatten, mit freundschaftlichen Draht inzwischen und Studentenfutter und Pi und Pa und Po, war auf einen Schlag nicht mehr; wir hatten mit Neuigkeiten zu dealen um die wir nicht gebeten hatten.  Nichts schien Monique was auszumachen, nicht mal allzu knappe Antworten. Keine Regung kam ihr unter, der man Bedeutung bemessen konnte, aus der man zu ihrer inneren Struktur vordrang, womöglich der Spur ihres Charakters folgen konnte. Moment mal. Momentchen nur. Unter ihrem Parker steckte ein gelber Schuh. Und als sie sich noch einmal unwesentlich bewegte, um eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr zu klemmen, kam eine kurze rote Hose kurz zum Vorschein. Noch war die Mickey Mouse nicht vollständig sichtbar, doch wußte ich nun von der Applikation auf dem Shirt unter dem Parker.  Vom Portrait von Mickey, der Ikone des Imperialismus. Ein offenes Sentiment für eine gängige Disneyfigur, wer hätte das gedacht; ich nicht unbedingt.  Dazu das eisige Blau der Augen, ich könnte– Den Satz mochte ich nicht beenden. Nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
Bald aber.

 

Fortsetzung folgt.